Permakultur

Das Neuland im Kopf

Boden, Wasser, Weidetiere und ein ganzheitliches Ziel: Ökologisches und systemisches ­Denken lässt die Landwirtschaft ihr regenerierendes Potenzial entfalten.von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #18/2013
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Australien ist ein Land der Extreme. Hier gibt es Dürren und große Überschwemmungen auf erdgeschichtlich alten und verbrauchten Böden, und es gibt sowohl dicht besiedelte als auch menschenleere Landschaften. Was hat das mit Deutschland oder Europa zu tun? Mitteleuropa wird spürbar extremer, unser Lebensraum wird »australischer«. Klima- und Wetterveränderungen bringen mehr regionale Starkregenereignisse, Trockenzeiten und Stürme. Nach jahrzehntelanger agrarindus­trieller Misswirtschaft mit vernachlässigter Fruchtfolge, Monokulturen, mangelhafter Humuswirtschaft, massivem Einsatz von Chemikalien und schwerer Technik sind die einst guten Böden längst nicht mehr das, was sie einmal waren. Sie ähneln in trockenen Sommern zunehmend der australischen Wüste.
Es sei also kein Wunder, dass Australier jetzt nach Mitteleuropa kommen, um hier ihr Wissen weiterzugeben, meint Darren Doherty. Der australische Farmer und Berater für Permakultur und Keyline-Landwirtschaft unterrichtete im vorletzten Jahr mehrmals in Europa. Ebenso tat es kürzlich sein Kollege Kirk Gadzia aus den USA, der sich wie Doherty in seiner praktischen Beratertätigkeit vor allem aus Sicht einer ganzheitlichen Betriebsführung (»Holistic Management«) mit der Frage beschäftigt, wie eine Landwirtschaft aussehen kann, die weder Böden noch Menschen auslaugt.
Beide gehören zu einem Netzwerk, das von vier australischen Farmer-Familien gegründet wurde. Unter dem Namen »RegenAG – Regenerative Agriculture« wollen sie dazu beitragen, Australiens Farmen, Böden, Gemeinden sowie das Farmleben zu erneuern, indem sie Techniken und Wissen besser zugänglich machen. Neben den landgestaltenden Methoden der Permakultur, mit denen in der Vergangenheit vor allem auf kleineren Flächen Erfahrungen gesammelt wurden, werden hier auch Methoden und Erfahrungen des Holistic Managements, des »Keyline Designs« sowie der Zero Emission Research Initiative (ZERI) zur Gestaltung regenerativer Landwirtschaftspraxis genutzt.
Der Boden spielt in der regenerativen Landwirtschaft die zentrale Rolle. »Ich baue Boden an, das ist mein Job«, sagt Darren Doherty augenzwinkernd, und er weiß: »Nackter, offener Boden ist der Staatsfeind Nummer 1.« Das gilt überall, denn ein aufplatschender Wassertropfen reißt durch seinen Aufprall die für die Fruchtbarkeit so wichtigen feinsten Bodenpartikel mit sich in die Höhe und sorgt dafür, dass sie auf der Bodenoberfläche landen. Hier bilden sie nun eine Schicht, die durch Austrocknung verhärtet, was Oberflächenwasser schlechter einsickern lässt und kleinen Pflanzen das Anwachsen erschwert. Diese Partikel erodieren auch schnell mit Wind und Wasser.
Ist der Boden einmal kaputt, hält er wesentlich weniger Wasser zurück. Der Wassergehalt der Landschaft, die Bewässerung von Landflächen oder auch das Tränken der Tiere wird in Zeiten von Trockenheit ein entscheidender agrarischer Faktor. Eine Kuh benötigt 40 bis 80 Liter Wasser pro Tag, und auch Futterpflanzen brauchen Feuchtigkeit. »Der beste Weg, mehr Kontrolle über das Wasser zu bekommen, ist es, Böden aufzubauen.« Das funktioniert von Ort zu Ort unterschiedlich, denn »das Klima schafft die Regeln des Spiels, die Topographie ist das Spielbrett«.
Wichtig kann eine gute Weideplanung sein, denn der Natur abgeschautes Beweiden hilft beim Bodenaufbau und damit bei der Steigerung der Wasserspeicherfähigkeit des Landes. Orientierung geben hier die natürlichen Beweidungssysteme offener Graslandschaften, wie sie früher in der nordamerikanischen Prärie existierten und wie es sie noch heute in den Savannen Afrikas gibt. Hier treiben Prädatoren wie Löwe oder Wolf die meist in großen Gruppen auftretenden Weidetiere eng zusammen und veranlassen sie, schnell von Ort zu Ort zu ziehen. (Die Rolle des »großen Fleischfressers« sollte der Mensch allerdings vor allem beim Weidemanagement einnehmen, weniger bei der Menügestaltung.)

Richtig abgrasen
Entscheidend für den Bodenaufbau sind dabei die Intensität der Beweidung und die Dauer der Ruhephasen. Über die Intensität der Beweidung entscheidet die Besatzdichte. Eine Kuh für 100 Tage auf einer Weide hat einen anderen Effekt auf Pflanzen und Boden als 100 Kühe für einen Tag auf derselben Fläche. Anzustreben sind in der Regel viele Tiere auf kleiner Fläche für kurze Zeit. Dabei muss niedergetrampeltes Futter nie als Verlust angesehen werden. Diese Halme dienen vorübergehend als Mulch, der den Boden vor Austrocknung schützt und nach der Zersetzung das Bodenleben füttert.
Das Vieh in hoher Zahl für kurze Zeit auf eine Fläche zu lassen und dieser anschließend eine lange Ruhepause zu gönnen, bedeutet auch, Überweidung zu vermeiden. Die entsteht immer dann, wenn abgefressenes Gras kurz nach dem erneuten Sprießen abermals abgefressen wird und keine Zeit hat, sich komplett zu regenerieren. Überweidung führt langfristig zu immer flacheren und kleineren Wurzelsystemen und damit zu geringerem Wachstum, zu minderwertigem Futter und letztlich zur Zerstörung von Bodenleben und Humusschicht. Für die Regeneration der Graspflanzen ist auch ein einmaliger Verbiss bis kurz über den Boden ungünstig, da die Pflanzen ja mit den Blättern ihre Wachstumsenergie schöpfen. Sie können in der gleichen Zeit fast doppelt so viel Blattmasse neu bilden, wenn sie nur zur Hälfte abgefressen wurden.
Dies kann durch die Weidedauer und Auswahl der Viehrasse beeinflusst werden. Der ideale Zeitpunkt, um Tiere auf eine Weide zu lassen, ist kurz vor der Grasblüte; dann weist Gras das größte Wurzelsystem und die höchste Regenerationsfähigkeit auf. Eine Beweidungspause sollte im Idealfall so lange andauern, bis dieses Stadium wieder erreicht oder ein hoher Grasbewuchs vorhanden ist. Kirk Gadzia beobachtete, dass solch eine Beweidung dem Bodenaufbau mehr hilft, als es ein völliges Brachliegen der Flächen tun würde. Nach einer gewissen Zeit angepasster Beweidung zeigen die Weiden auch, welche Tiere dort fressen, denn es wachsen die Pflanzen, die die Tiere mögen – »alles gärtnert«.

Versickern, Verlangsamen, Verteilen
»Wir produzieren nicht das beste Fleisch, sondern den besten Boden.« Das Fleisch wird dann quasi als logische Folge von ganz alleine gut, weiß Darren Doherty. Möglicherweise weiß das auch die australische Regierung, denn Australien ist das erste Land, das Bauern für die Verbesserung ihrer Böden bezahlt. Je mehr Kohlenstoff im Boden als Humus gebunden ist, desto weniger befindet sich in der Atmosphäre, desto besser lassen sich gegenwärtige Klimaschutzziele erreichen und die Produktivität der Landwirtschaft steigern. Bodenaufbau ist die einfachste Methode, Kohlenstoff aus Kohlendioxid zu speichern.
»Der beste Weg, Boden aufzubauen, sind Rinder, die Gras fressen« – das wusste offenbar auch schon P. A. Yeoman. Der Hobbyfarmer entwickelte Anfang der 50er Jahre sein Keyline-Design-System zur ganzheitlichen Farmgestaltung. Hauptelemente sind dabei die Oberbodenentwicklung und -erhaltung, die Speicherung von Regenwasser, Schwerkraft-Bewässerungssysteme und eine Farmgestaltung auf Basis der Topographie.
Grundsätzlich gilt für das Wasser auf dem Land: Versickern, Verlangsamen, Verteilen! Dabei helfen kann auch die Arbeit mit einem Tiefenmeißel, idealerweise mit einem Yeoman-Pflug. Mit diesem können tieferliegende Verdichtungen aufgelockert und auch die Wasserbewegung bei Starkregen oder bei Flutbewässerung beeinflusst werden. Nach entsprechender Nivellierung und Geländemarkierung kann der Yeoman-Pflug den Boden so einschneiden, dass oberflächlich fließendes Wasser entgegen der Schwerkraft aus den Geländesenken auf die Höhen geleitet wird. Der so gelockerte Boden erlaubt es tiefwurzelnden Pflanzen, durch die Verdichtungen hindurch in tiefere Erdschichten zu wachsen und dadurch den Boden weiter zu lockern. Hierbei wird der Lebendverbau der wichtigen Krümelstruktur bis in größere Tiefen ermöglicht; der Boden kann so ertragsfähiger werden und mehr Wasser speichern. Durch Weidemanagement und Bodenaufbau nimmt sowohl die Futterqualität und -menge als auch die Artenvielfalt zu. Auch kann längeres Gras den Tau besser aufnehmen.
Über den Bau von Wasserrückhaltesystemen sollte man erst nachdenken, wenn der Boden so weit aufgebaut ist, dass er maximal Wasser speichern kann. Dabei zeigen die Schlüssellinie (»Keyline«) bzw. der Schlüsselpunkt (»Keypoint«) an, wo in einer hügeligen Landschaft sinnvoll Wasser gespeichert werden kann. Der Keypoint liegt dort, wo sich in einer am Hang befindlichen Abflussrinne das Gefälle von einer konvexen zu einer konkaven Form wandelt und Erosion durch Ablagerung abgelöst wird. Idealerweise wird erst nach der Planung der Wasserspeicher – so sie denn nötig sind – festgelegt, wo im Gelände Wege, Zäune oder Bäume hinkommen. Wege und Straßen sind vorzügliche Wassersammler, aber auch Bäumen kann in der Landbewirtschaftung wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie verbessern Weideland, indem sie beispielsweise Wind und Wasserabfluss bremsen und lenken. Hügelkuppen sollten immer bewaldet sein; idealerweise werden Wald und Weide miteinander kombiniert. Immerhin leben alle Paarhufer in der Natur einen Teil ihres Lebens im Wald.
Ob Wege- oder Wasserspeicherbau, grundsätzlich sollten Erdarbeiten immer so wenig wie möglich und so viel wie nötig durchgeführt werden. Schon alleine mit dem Blick auf unseren ökologischen Fußabdruck heißt die Devise hier wie in der täglichen Arbeitspraxis: Energiesparen!
Relativ einfach ist das Energiesparen mit Veränderung der Tierhaltung. Weidetiere sind für das Laufen geschaffen. Tierhaltung und Beweidungsplanung können so abgestimmt werden, dass die Tiere zum Futter laufen, anstatt dass wir ihnen das Futter per Trecker vor die Nase fahren. Die Weidesaison wird so lange ausgedehnt, wie es geht. Dazu können beispielsweise Heuballen an verschiedenen Stellen auf den Weideflächen lagern und im Herbst nach und nach vor Ort verfüttert werden. Das spart den Transport und verteilt Nährstoffe durch Tierdung oder nichtgefressenes Futter auf den Flächen; es sammelt sich nicht im Stall an, von wo es wieder nach draußen geschafft und verteilt werden muss. Auf geeigneten Flächen kann auch hohes Gras quasi als ungeerntetes Heu stehenbleiben, wo es dann im Winter abgeweidet wird.
Beim Feldbau darf die Grundregel »anbauen, was wachsen will; alles andere ist Energieverschwendung« gelten. Dabei können relativ neue Verfahren, wie pfluglose Bodenbearbeitung oder Direktsaat und intelligente Maschinenkombinationen, helfen, im Anbau Energie zu sparen und den Ertrag zu erhöhen.
»Manage für Dinge, die du willst, anstatt gegen etwas zu arbeiten, das du nicht haben möchtest«, fordert Kirk Gadzia auf. Neben dem Management von Anbau und Tierhaltung gilt es für Landbewirtschafter auch, sich mit dem eigenen Arbeitsziel, den eigenen Werten und der eigenen Definition von Lebensqualität zu beschäftigen. Dabei helfen die Ausformulierung eines eigenen »ganzheitlichen Ziels« sowie ein strukturierter Prozess, der die Möglichkeiten, die richtige Entscheidung zu treffen, an eben jenem Ziel misst. •


Kirk Gadzia über Holistic Management sprechen hören
www.youtube.com/watch?v=v8MwszRI5Jk (ein Vier-Minuten-Film in ­englischer Sprache)

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