Gemeinschaft

Ein Sternendach für alle

»Leipzitopia« fördert Synergieeffekte unter Leipziger Initiativen.
von Karsten Wolf, erschienen in Ausgabe #18/2013
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Ein oder zwei Hauptthemen schlage ich vor, ansonsten sind unsere Treffen ein bewusst offener und unverplanter Raum, damit das, was sich aktuell zeigen will, in den Fokus rücken kann. Weiße Farbe und Sternenform des Zelts symbolisieren die Struktur: politisch und weltanschaulich neutral und offen für jeden Menschen, geschützt und gerahmt und doch offen nach allen Seiten.
Das Vernetzungstreffen soll all denen ein Podium bieten, die das Zusammenleben in der Stadt real gestalten möchten, die sich vorstellen können, Umweltschutz und Verkehrspolitik mit Spiritualität und Meditation zu verbinden. Viele Initiativen sind in ihrer Nische tätig, tun gute Arbeit, aber können erst in der sichtbaren Vernetzung mit anderen erkennen, welchen wichtigen Beitrag sie als Puzzlestein für die große ganze Erneuerung leisten. Leipzitopia soll ein Experimentierfeld sein, wie die Kommunikation mit Andersdenkenden aussehen kann und wie daraus ganz neue Ideen und Projekte für ein menschenfreundliches und ökologisches Leipzig wachsen können.

Aufbruch
Es gibt so viele spannende Initiativen und Gruppen, die das Zusammenleben in der Stadt gemeinschaftlich und verantwortungsvoll gestalten wollen: Transition Town, Occupy-Acampada, Lindentaler, Stadtpflanzer, Autofrei Leben, Forum Weltenwandel … Wenn alle diese sich kennenlernen und gemeinsam überlegen würden, wie man Stadt konkret anders leben kann – was wäre dann nicht alles möglich?
Mich drängt es sehr, Wege aus dieser nimmersatten und zerstörerischen Kultur zu ebnen. Denn ich glaube, dass es zu immensen Umbrüchen, Krisen und Gewalt kommen wird, wenn wir jetzt nicht real vorarbeiten. Genauso wichtig ist mir, Frieden in unserem Inneren zu schaffen und dar­in keinen Widerspruch zu »weltlichen« Projekten wie Transport, Umweltschutz oder Gemüseanbau in der Stadt zu sehen. Ich wünsche mir, dass wir Leipziger wieder aus unserer Anonymität heraustreten und uns trauen, Eigeninitiative zu zeigen: selber machen, bunt machen, nehmen lernen, Toleranz lernen, Behörden nicht mehr als übermächtig fürchten, sondern mit ihnen als gleichberechtigten Partnern umgehen.
Das Wort »Leipzitopia« kam mir Anfang des Jahres 2012 in den Sinn, und fast zur gleichen Zeit kam das »Sternenzelt« zu mir.
Die ersten Treffen waren noch zaghaft. Bei einer Occupy-Demonstration mitzumachen oder als Stand auf der Leipziger »Ökofete«, fiel nicht schwer. Interessanter war es, zwei Treffen in den südlich von Leipzig gelegenen Seenlandschaften zu organisieren, ohne nach einer Genehmigung zu fragen. Zu diesen kamen mehr als hundert Menschen, so dass Leipzitopia in der Stadt nun nicht mehr unbekannt ist.

Erfolge und Schwierigkeiten
Der überwiegende Teil der vielen Besucher nutzt das offene Zelt gerne, um sich zu treffen, auszutauschen und einen schönen Nachmittag zu haben. Einige Menschen konnte ich für die aktive Unterstützung von Leipzitopia gewinnen. Verantwortung jedoch wollten bisher nur wenige übernehmen. Vielleicht geht es ja gerade darum: auf den Prozess zu vertrauen, auch wenn es keine Sicherheit gibt.
Viele Wirkungen, die von Leipzitopia ausgehen, bekomme ich wahrscheinlich gar nicht mit, weil unsere Treffen nicht organisiert sind, sondern wie eine Open-Space-Konferenz ablaufen. So viel weiß ich aber: Mehrere bislang nebeneinander existierende Initiativen für eine Alternativwährung sind durch Leipzitopia in Kontakt gekommen und überlegen nun, an einem gemeinsamen Projekt weiterzuarbeiten. Im April und September hat die Initiative »Leipzig bewegt« einen gemeinsamen Veranstaltungskalender herausgebracht, von denen 5000 Exemplare verteilt wurden. Es gibt inzwischen auch »leipzitopia.de« mit vielen Infos über das alternative Leipzig und den Blog »leipzitopia.wordpress.com«.
Viele Initiativen finden sich offenbar als Gruppe Gleichgesinnter zusammen, um sich in der eigenen Meinung zu bestärken. Es fällt ja auch schwer und ist eine große Herausforderung, sich anderen Meinungen zu stellen. Gerade dafür aber habe ich dieses mobile Forum geschaffen. Damit wir uns – so unterschiedlich wir auch sind – gegenseitig akzeptieren und würdigen. Damit wir uns auch auf die Argumente Andersdenkender einlassen. Aber selbst bei Leipzitopia bemerke ich, wie bestimmte Menschen beginnen, sich abzugrenzen. Klar, ich kenne es ja auch von mir, dass ich mich mit Gleichgesinnten wohler fühle. Mit ihnen kann ich leichter Projekte planen, über Träume reden und mich persönlich öffnen, während ich andere manchmal nicht einmal verstehe oder mit ihrer Haltung dem Leben gegenüber gar nicht umgehen kann. Und dennoch müssen wir uns den Herausforderungen der Vielfalt stellen!
Ziemlich früh machte eine Stigmatisierung von Leipzitopia als »esoterisch« die Runde, was einige Projekte von der Zusammenarbeit abhielt. Der Begriff hat ja zahlreiche Bedeutungen, und jede und jeder möchte darunter etwas anderes verstehen. Er kann mit »verschwörerisch« assoziiert werden, aber auch mit der Qualität »vom Inneren her beginnend«. Ich glaube, daher kommt die Ablehnung. Die Veränderung im Inneren ist für mich aber die Grundvoraussetzung für eine wirklich nachhaltige Veränderung im Außen.

Wie geht es weiter?
Ich stehe dazu, dass ich nicht zu viel vorgeben will. Ich möchte den Raum halten und Ansprechpartner sein. Der Raum kann sich dann mit Neuem füllen; hier wird nichts Vorgedachtes abgearbeitet. Ich möchte nichts planen und organisieren, außer Zeit und Ort der Treffen. Alles soll durch die Teilnehmer und aus deren Motivation im Moment geschehen. Diese Offenheit macht mir manchmal auch Angst: dass keiner mehr kommt, weil nichts geboten wird; dass mir die (kleinen) Zügel aus der Hand gleiten; dass wir von anderen in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Und dann reagiere ich, indem ich gegen meine Prinzipien Themen für die nächsten Treffen vorschlage und nachhake: »Bringst du etwas mit? Kommst du auch?« Im Innersten weiß ich aber, dass meine Aufgabe nur ist, einen offenen Raum zu schaffen, der das aufnehmen kann, was da geschehen möchte.
Und so wird Leipzitopia weitergehen. Ja, es ist schon Teil einer großen Bewegung, deren Zeit gekommen ist. Wir alle sind Mitwirkende und Staunende zugleich. Und wenn manche das auch als »esoterisch« ablehnen mögen: Mir scheint, diese Bewegung kommt nicht allein aus uns heraus, sondern aus dem großen Gewebe des Lebens im Universum. •


Karsten Wolf (43) wohnt seit 2009 in Leipzig und verdient seinen Lebensunterhalt als Kerzenmacher, Masseur und Lastenradkoch.

Im Internet
www.leipzitopia.de

www.lastenrad-leipzig.de
www.werkstatt-des-lichts.de

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