Permakultur

Die Renaissance der Sense

von Erwin Zachl, erschienen in Ausgabe #8/2011
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Als ich vor mehr als fünfzig Jahren meinen Vater bewunderte, wie leicht und beschwingt er seine Sense durch unseren Garten führte, war mir nicht klar, wie sehr ich mich selber in späteren Jahren mit einem solchen Werkzeug herumplagen würde. Immer wenn ich bei Ausflügen oder in der Nachbarschaft jemanden sensen sah, war ich fasziniert davon und wollte es ausprobieren. Leider wurde ich aber Opfer einer alten Volksweisheit, nämlich, dass Mähen mit einer Sense eine schwere körperliche Anstrengung sei und es langjähriger Übung bedürfe, um einigermaßen mit diesem Gerät zurechtzukommen. Im Lauf der Jahrzehnte habe ich mehrere Sensen durch meine Unkenntnis so sehr demoliert, dass mir die Lust am Sensen vollkommen abhanden kam. Vor allem die besinnliche Tätigkeit des Dengelns hat mich niemand wirklich gelehrt bzw. lehren können. »Du musst schon selber herausfinden, wie das geht«, ist leider oftmals die gängige Ansage, wenn jemand das Dengeln lernen möchte.

Rasenkurzhaltemaschinen tun weh
Ein langjähriges Intermezzo hatte ich mit verschiedensten modernen Rasenkurzhaltegeräten, wie Benzin-Rasenmäher, Elektro-Rasentrimmer, bis hin zum Supergerät Motorsense. Alle diese modernen Geräte hatten unangenehme Begleiterscheinungen: Sie haben gestunken, waren laut, körperlich ziemlich anstrengend im Betrieb und entließen jede Menge Plastik, Rauchgase, Lärm und Schweiß (meinerseits) in die Umwelt. Daneben gab es noch Sicheln, Rasenscheren und weiteres Kleingerät, welches sich immer negativ auf meinen Rücken auswirkte.
Dieses Elend dauerte an, bis vor einigen Jahren bei einem Nachbarbauern ein Mensch auftauchte, der einen Tag lang »Genussmähen für den Hausgebrauch« veranstaltete. Da war ich dabei und stellte mich offenbar gar nicht so dumm an. Zum ersten Mal durfte ich mit einer Sense arbeiten, die auf meine Körpergröße angepasst war, die – oh Wunder! – mir keinerlei Rückenschmerzen verursachte, die geschnitten hat, dass das Sensenblatt wie von selber durch das Gras flog. Einfach eine Freud‘! Schließlich wurde ich vom Österreichischen Sensenverein zu einem Lehrgang »Ausbildung zum Sensenlehrer« eingeladen. Dann ging’s erst so richtig los. Und erst das Dengeln: Zum ersten Mal wurde mir gezeigt, wie dieses permanente Hämmern auf die Schneide wirklich vor sich geht und worauf besonders zu achten ist. Am Ende der Ausbildung durfte ich mich als anerkannten Sensenmäh- und Dengellehrer mit Urkunde bezeichnen.

Ein sehr altes Werkzeug
Parallel dazu beschäftigte ich mich mit der Geschichte der Sense. Eine spannende, auch wirtschaftlich interessante Entwicklung: Im alten Ägypten wurden Sicheln zur Getreideernte verwendet, und in Europa gab es bereits in der Steinzeit sichel­ähnliche Erntegeräte aus Flint. Schließlich entwickelte man in der Bronzezeit Sicheln aus Bronze, die aber eher schlechter waren als jene aus Feuerstein, weil weniger hart. Als dann Eisen mehr und in guter Qualität zur Verfügung stand, tauchten auch die ersten Sensen auf (500–100 v. Chr.). Das war interessanterweise in den feuchteren und kälteren Gegenden Europas, mussten doch die Bauern dort für Wintervorräte an Tierfutter sorgen. Das Schneiden von Gras mit einer Sichel ist eher mühsam, also versuchte man es mit einem langen Holzstiel, damit ging es schon viel besser. Im Lauf der Zeit entwickelten sich, je nach Gegend, die verschiedensten Ausprägungen von Sensen. Für jeden Einsatzzweck und jede Landschaftsform wurden speziell angepasste Sensenmodelle entwickelt. So wurden etwa nahezu alle im alpinen Bereich entstandenen Sensen sehr schmal und möglichst leicht geschmiedet. Auf diese Weise musste weniger Gewicht auf die Hänge und Berge getragen werden. Dagegen wurden etwa die Sensen in der Norddeutschen Tiefebene eher auf große Stabilität und also breiter geschmiedet.
Allen Sensenarten gemeinsam ist, dass sie fast ausnahmslos in alpinen Gegenden hergestellt wurden. Österreich war das Hauptgebiet der Sensenerzeugung. Daneben gab es noch Erzeuger im Allgäu und einige wenige in der Schweiz. Das waren hauptsächlich kleine, regionale Betriebe, die in der Nähe von Eisenminen und verfügbarer Wasserkraft angesiedelt waren. Praktisch alle Sensen, die in der ganzen Welt zum Einsatz kamen, wurden von diesen regionalen Handwerksbetrieben gefertigt. Heute gibt es weltweit nur mehr eine Handvoll Sensenmacher, zwei davon in Österreich, einen in Norditalien. Diese drei Betriebe schmieden Sensen noch in alter Tradition, allerdings mit modernen Energieformen. Die wenigen anderen Erzeuger, vornehmlich in der Türkei und in China, schmieden nicht, sie stanzen oder walzen aus Blechen billige Produkte, die deshalb nicht oder nur schwer zu dengeln sind und auch keine lange Lebensdauer haben. Eine gute Sense hat man, bei guter Pflege, ein Leben lang.

Sharpen your senses
Neben der Qualität der Sense ist auch ein der Landschaftsform angepasstes Sensenmodell entscheidend für den Mäherfolg. In der Ebene wird man ein anderes Modell als auf einer steilen Bergwiese oder im Unterholz verwenden. Auch die Länge eines Sensenblattes wird sich nach diesen Kriterien richten.
Gleichermaßen ist auch das Schnittgut für die Auswahl einer bestimmten Sense von Bedeutung: Für kurzes Gras oder Rasen wird eher ein ganz leichtes, dünnes Blatt, eine Gartensense, verwendet. Für altständiges, auch schon verholztes Gras ist eher eine Streu-, Wald-, oder gar eine Schleifsense vorzuziehen. Auf steinigen Almwiesen nutzt man eher ein ganz leichtes, kurzes Blatt, dagegen auf der ebenen Wiese zur Heuernte eine mittelschwere, lange Landsense.
Was macht nun eine perfekte Sense aus? Es ist die feine Abstimmung des Sensenmodells und des Sensenbaums bzw. -wurfs auf das Schnittgut, die Landschaftsform und nicht zuletzt die Körpergröße der Mäherin oder des Mähers. Voraussetzung für genussvolles Sensen ist allemal eine möglichst leichtgewichtige, dünn ausgeschmiedete, elastische Sense.
Zum Sensen gehört auch das Dengeln: Eine Sense bekommt nur durch einen perfekten »Dengel« eine Schneide, die rasiermesserscharf ist und die Schärfe auch lange hält. Dengeln ist ein volkstümlicher Begriff für das Kaltverformen des nur 2 bis 3 Millimeter schmalen Bereichs der eigentlichen Sensenschneide. Dafür verwendet man einen kleinen Amboss und einen entsprechenden Hammer. Dieses Werkzeug ist mit äußerster Sorgfalt zu pflegen und in bestem, poliertem Zustand zu erhalten und vor allem zu nichts anderem zu verwenden als zum Dengeln.

Die Nagelprobe
Die Dengelarbeit ist eine präzise Tätigkeit, die auch ein wenig Wissen über die Materialbeschaffenheit erfordert. Der ohnehin schon sehr dünne Stahl der Schneide wird Millimeter für Millimeter geklopft und auf diese Weise hauchdünn ausgetrieben – dünn wie eine Rasierklinge und beweglich wie Alufolie. Um den »Dengel« zu prüfen, legt man den Daumennagel fest an die Unterseite der Schneide und dreht ihn ein wenig hin und her. Die Schneide muss sich durch den Druck des Daumennagels leicht wölben und anschließend wieder gerade werden. Das ist die berühmte »Nagelprobe«, das entscheidende Messinstrument für die Dengelqualität. Ist dieser Dengel dann über die ganze Länge der Sensenschneide gelungen, ist die Sense mähfertig.
Gedengelt werden sollte, je nach Mähgut, etwa alle vier bis sechs Arbeitsstunden, spätestens am Abend oder vor dem nächsten Mähgang. Zu diesem wird außerdem ein im wassergefüllten »Kumpf«-Behältnis aufbewahrter Wetzstein mitgeführt. Dieses Gefäß kann aus Plastik sein, viel besser aber aus Kupfer, Kuhhorn oder aus einem kunstvoll gedrechselten und ausgehöhlten Holzstück. Vor dem Mähbeginn wird die Sense noch »gewetzt«, keinesfalls jedoch geschliffen oder ähnliches. Das richtige Wetzen verursacht nämlich keinerlei Materialabtrag, sondern bewirkt ausschließlich das Glätten und Geraderichten der feinen Schneide. Deshalb wird auch kein grober, scharfer Schleifstein verwendet, sondern ein weicher, ganz feiner Sandstein, der nur mit viel Wasser eingesetzt wird. Gewetzt wird in der Folge je nach Schnittgut alle vier bis sechs Minuten. Ein geringer Zeitaufwand von ein paar Sekunden, der aber entscheidend dafür ist, die Freude angenehmen Mähens zu genießen.

Mäh, mäh!
Eine gute Sense ist immer an die Körpergröße und Arm- bzw. Beinlänge angepasst. Sie hat immer eine »gute Schneid«, und dann wird das Mähen ein Genuss. Gemäht wird in aufrechter Körperhaltung, ohne Verkrümmung des Rückens. Die Arme haben nicht viel zu tun. Gemäht wird mit dem Körper, denn der hat viel mehr Kraft als die Arme. Bei richtiger Bewegung wird man kaum müde, eher sehr entspannt.
Mit gleichmäßiger Drehbewegung des ganzen Körpers arbeitet man sich Schrittchen für Schrittchen über die Wiesenfläche voran, je nach Grashöhe zwischen vier und zehn Zentimeter pro Schritt. Das klingt nach wenig, ist aber sehr effizient, weil dadurch das Mähbild sehr gleichmäßig wird. Auf diese Weise mähe ich unseren Rasen mindestens genau so eben und gleichmäßig wie ein Rasenmäher, und das ohne Benzin- oder Stromverbrauch und ohne Gestank und Ruhestörung der Nachbarn. Mähen mit der Sense geht jederzeit und bei jedem Wetter.
Glücklicherweise beginnen wieder mehr und mehr Menschen, den Umgang mit einer Sense zu erlernen. Kurse dazu werden unter anderem von Vereinen angeboten. Nach dem ersten Sensenverein in ­Österreich, der schon seit zehn Jahren existiert, hat sich vor zwei Jahren der Sensenverein Deutschland gegründet. In Österreich sind derzeit an die siebzehn, in Süddeutschland immerhin schon sieben Sensenlehrer aktiv. Viele lernfreudige »Sensies« kommen zur Zeit noch nach Österreich oder Bayern. Aber es gibt auch weiter im Norden bereits Sensenmäh- und Dengelkurse. Eine gelegentliche Suche im Internet lohnt sich. 
 

Erwin Zachl (58) ist diplomierter Permakulturgestalter und anerkannter Sensenmäh- und Dengellehrer. Als Permakultur-Lehrer in Österreich und Bayern vermittelt er alternative und traditio­nelle Arbeitsmethoden. www.bio-ernteland.at, permakultur@bio-ernteland.at

Die stille Welt des Sensens im Web
www.sensenverein.at
www.sensenverein.de
www.sensenwerkstatt.de
www.scytheconnection.com

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