Titelthema

Aiphoria-Farm – Kompost mit ­Olymp-Blick

Aus dem »Mosaik des guten Lebens«.
Photo
© LUISA HOHLFELD

Seit zwanzig Jahren gibt es in Nessonas, einem Dorf in der Nähe der griechischen Stadt Larisa, die Aiphoria-Farm. Nach ­ihren ­Anfängen als Experiment für regenerative Landwirtschaft stand viele Jahre das Bauen mit der lokalen Ressource Lehm im Vordergrund. Als der Sohn des Gründers die Farm dann vor einem guten Jahr übernahm, erweiterte er sie zu einem umfassenden Permakultur­projekt.
Das Stück Land in einem Tal wird von den Bergen ringsum umarmt und ist von endlosen Mandelbaum-Plantagen um­geben. Wenn die Bäume im März in voller Blüte stehen, sind sie wunderschön, doch der Boden unter ihnen ist kahl und rissig. Der freundliche Nachbarsbauer schaut gelegentlich mit skeptischem Interesse in unserem jungen Waldgarten vorbei. Während wir barfuß mulchen und Kompost umsetzen, fährt er mit Ganzkörperschutzanzug zwischen seinen Baumreihen, hinter ihm eine Pestizidwolke. Er schützt sich wie ein Astronaut gegen eine lebens­feindliche Welt – unsere Farm hingegen will Leben in seinen vielfältigen, wildwüchsigen Formen fördern. Sie ist ein Refugium für alte Gemüsesorten, Blattläuse und Marienkäfer, vergiftete Straßenhunde, für traditionelles Wissen über naturnahes Bauen sowie für Menschen aus nah und fern, die hier in Workshops, im Rahmen eines Praktikums oder als Freiwillige arbeiten, lernen und leben.
Als Stadtkind habe ich nie zuvor so lange Zeit am Stück draußen verbracht wie während der zwei Monaten, die ich hier als Freiwillige verbrachte. Dem Wechsel der Jahreszeiten habe ich früher kaum Beachtung geschenkt. Nun erlebte ich, wie jede Woche andere Insekten, Blüten und Früchte entstanden und wieder verschwanden. In Kon­trast zu diesem radikalen Bezogensein auf das Lokale kamen mit Corona weltumspannende Verschwörungstheorien in unsere Gesprächsrunden.
Dass es so viel zu tun gibt, hat zur Folge, dass wenig Zeit für Austausch bleibt und Entscheidungen eher von den Erfahreneren getroffen werden. »Produktive« Arbeit wird hoch geschätzt – Sorge­arbeit ringt um Anerkennung. Auch dieses Projekt ist eben in die patriarchale Kultur und ins kapitalistische Wirtschaftssystem eingebettet und muss für Gemüsekisten und Workshops Geld nehmen, obwohl die Menschen hier lieber tauschlogikfrei vom Land und aus dem lokalen Netzwerk leben ­würden.  
Luisa Hohlfeld

kostas@cob.gr
cob.gr/en
www.facebook.com/buildingwithearth

weitere Artikel aus Ausgabe #59

Photo

Der kurze Sommer der Anarchie

Die Platzbesetzung am 3. Mai 1980 auf der Bohrstelle 1004 des geplanten Atommülllagers im Wendland war mehr als nur eine Anti-Atom-Aktion. Es war das Aufleuchten einer Vision:33 Tage lang haben wir damals quasi in der Zukunft gewohnt.Fast 700 Menschen lebten ständig auf dem Platz, dazu

von Inga Degenhart

Hauserneuerung (Buchbesprechung)

Als ich Mitte der 1980er Jahre begann, mich mit der Lehmbauweise zu befassen, zählte ich zu den Pionierinnen. Anders als heute gab es damals kaum aktuelle Literatur und praktische Erfahrungen im Bereich des Bauens und Sanierens mit Naturmaterialien, an die ich hätte anknüpfen

Photo

Luftbad Waldwiese – Lebensreform-Oase

Nicht weit vom Bergpark in Kassel liegen etwa 20 Hütten neben einem kleinen Schwimmbassin und einer Quelle im Wald. Erbaut wurden sie im Zug der Reformbewegung 1928 von Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung: Mitarbeiter der örtlichen Maschinenbaufirma Henschel,

Ausgabe #59
Schöne neue Welt?

Cover OYA-Ausgabe 59
Neuigkeiten aus der Redaktion