Buchtipps

Wann wenn nicht wir* (Buchbesprechung)

von Maria König, erschienen in Ausgabe #56/2019
Photo

»Ich wurde festgenommen, weil ich mich an der Station Canary Wharf mit Sekundenkleber auf einem Stadtbahn-Waggon festgeklebt hatte«, beginnt die britische Musikerin Cathy Eastburn ihren Bericht von einem Gefängnisaufenthalt infolge ihrer Beteiligung bei der dezentralen Bewegung »Extinction Rebellion« (XR). Diese und weitere Beiträge zum Klimawandel, zu direkter Demokratie, zu zivilem Ungehorsam und zum Anzetteln einer Rebellion vereinen sich in dem Buch »Wann wenn nicht wir* – Ein Extinction Rebellion Handbuch«. In der deutschsprachigen Version werden die 25 Beiträge der englischen Originalausgabe um 17 Beiträge aus dem hiesigen Zweig der Bewegung ergänzt. Das Handbuch will über Hintergründe und Zusammenhänge der Erdüberhitzung aufklären, insbesondere anhand der ersten XR-Aktionen in London praktische Tipps vermitteln, wie sich über zivilen Ungehorsam eine breite Protestbewegung gegen starre und träge politische Systeme aufbauen lässt, und es will zum Handeln ermutigen.
Von den Regierungen wird hier gefordert, die Wahrheit und Dringlichkeit der ökologischen Krise anzuerkennen, unverzüglich für die Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2025 auf Null ins Handeln zu kommen sowie Bürgerversammlungen einzuberufen, die notwendige Maßnahmen und Beschlüsse für Klimagerechtigkeit erarbeiten und umsetzen.
Im ersten Teil sprechen Umweltaktivistinnen und -aktivisten, wie die indische Anwältin Farhana Yamin, über bereits heute spürbare Konsequenzen des Klimawandels und die Notwendigkeit, als Menschheit jetzt radikal anders zu handeln. Weitere Beiträge stellen Bezüge zu den Anliegen indigener Völker, zu Migration, anderen Gerechtigkeits­bewegungen und zu partizipativer Demokratie einer breiten bürger­lichen Basis her.
Der zweite Teil versammelt Beiträge rund um die Organisation, Essensversorgung, Materialienerstellung und Medien­strategien bei Aktionen zivilen Ungehorsams. Weitere Texte thematisieren dabei angestrebte Haltungen, wie absolute Gewaltfreiheit oder die Bereitschaft, sich festnehmen zu lassen. Visionäre Überlegungen zur Verkörperung des Wandels, zu neuer Ökonomie und Agrarwende eröffnen eine erweiterte Perspektive über den Protest­rahmen hinaus.
Ein abschließender Teil gibt praktische Tipps zum Aufbau von Straßenblockaden, zu Ankettaktionen, zum kommunikativen Umgang mit der Polizei und zum Recht auf Versammlungsfreiheit.
Cathy Eastburn schreibt, dass für sie nach 30 Jahren des gefühlt wirkungslosen Engagements für eine klimagerechtere Welt Extinction Rebellion »die letzte verbliebene Möglichkeit« sei, aktiv zu werden. Dieser Impetus der Leidenschaft und Ungeduld, nach jahrzehntelangem Versagen der Regierenden nun gewaltfrei, aber vehement politisch für einen Wandel einzutreten, ist dem gesamten Buch eingeschrieben. Menschen, die sich bereits mit den Zusammenhängen der ökologischen Krise auseinandergesetzt haben, bietet der erste Teil dabei wenig neues Wissen. Die auf dem Einband angekündigten Fakten zur Klimakrise nehmen weit weniger Raum ein als facettenreiche Appelle engagierter Aktivistinnen, Wissenschaftler und Künstlerinnen weltweit.
Wer sich beim eigenen Engagement für eine enkeltaugliche Welt in den Bereich des kreativen Protests und zivilen Ungehorsams wagen möchte, für den ist insbesondere der zweite Teil des Buchs eine nützliche, empfehlenswerte und ermutigende Lektüre.
 

Wann wenn nicht wir*
Ein Extinction Rebellion Handbuch.
Herausgegeben von Sina Kamala Kaufmann, Michael Timmermann, Annemarie Botzki
Fischer, 2019 (3. Auflage)
256 Seiten
ISBN 978-3103970036

12,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #56

Photo
von Sebastian Gengenbach

Pflege auf Augenhöhe ist möglich

Uta Kirchner begrüßt mich an der Tür und verschwindet nach kurzem Wortwechsel, um in aller Ruhe Kaffee für unser Gespräch zu kochen. Im Eingangsbereich steht ein großer Tisch, auf dem zahlreiche Flugblätter und Postkarten verschiedener Netzwerke und

Photo
Gemeinschaftvon Judith von der Schirpkotterdellen

Kurvenreiche Anfangszeit

Anfang August 2015 übernahmen wir als Gruppe rituell unseren Platz, einen als magisch erlebten Ort am Fuß der Helfensteine in der Nähe von Kassel. Diesem Schritt war eine lange Reise vorangegangen: Acht Jahre hatte es gebraucht, bis die Gruppe endlich ankommen konnte. Acht Jahre,

Photo
von Matthias Fersterer

Der Welten-er-fahrer

Mit der Beständigkeit eines Pendels, ­eines Zugvogels, eines Metronoms macht ­Werner Küppers mit dem weißen Doppel­deckerbus immer wieder Station in Klein Jasedow. Wenn ich spontan einen Menschen nennen sollte, der hier und jetzt nomadisch lebt – der, saisonalen

Ausgabe #56
Hüten statt haben

Cover OYA-Ausgabe 56
Neuigkeiten aus der Redaktion