Permakultur

Unwillkürlich permakulturell

Zu Besuch bei Marcie Mayers »Oakmeal«-Projekt in Griechenland (Fortsetzung des Artikels »Eicheln essen …« aus Oya 55).von Judit Bartel, erschienen in Ausgabe #56/2019
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© Marcie Mayer

In der letzten Ausgabe der Oya hatte ich Marcie Mayers Projekt zur Wiederentdeckung von Eicheln als Lebensmittel vorgestellt. Während meines Besuchs bei ihr hatte ich immer wieder den Gedanken: Das, was Marcie macht, ist doch genau Permakultur! Obwohl Marcie ihr Projekt nicht permakulturell geplant hat, ist etwas zutiefst Permakulturelles entstanden. Was die Zutaten dafür sind, möchte ich in diesem zweiten Teil sichtbar machen, indem ich durch die Brille der Permakultur-Gestaltungsprinzipien von David Holmgren auf Marcies Wirken schaue (kursive Textstellen beziehen sich auf diese Prinzipien, die in den Oya-Ausgaben 17 bis 29 ausführlich vorgestellt wurden).
Mit ihrem Anliegen, die Eichenwälder auf Kea zu erhalten, sorgt sie für die Erde. Indem sie Eicheln als Nahrung nutzbar macht, sorgt sie für die Menschen, und indem sie über den Verkauf der Eichelhüte Einkommensquellen für die Bauern von Kea erschließt, teilt sie Ressourcen und  Überschüsse gerecht. Oakmeal entspricht also voll und ganz der Permakulturethik.
Marcie war von einer Wochenendbewohnerin zu einer festen Bewohnerin der Insel Kea geworden, bevor sie »Oakmeal« startete und hatte sich also genügend Gelegenheit gegeben, um zu beobachten und in Kontakt zu treten mit der Inselwirklichkeit. Sie startete ihr Projekt, als sie von einer Vermarktungsmöglichkeit für die Eichelhüte erfahren hatte und sich Griechenland in einer schweren ökonomischen Krise befand. Mit dieser Vermarktungsmöglichkeit hatte sich die Situation verändert: ein Möglichkeitsfenster hatte sich aufgetan, mehr Menschen für Eichen zu begeistern – und Marcie reagierte kreativ darauf. In globaleren Zusammenhängen gedacht, reagiert Oakmeal auf folgende Veränderungen unserer Lebenswirklichkeit: Klimawandel, die Endlichkeit fossiler Brennstoffe sowie Wüstenbildung, Wasserknappheit und Bodenerosion im mediterranen Raum. Indem Marcie Eicheln als menschliche Nahrung nutzbar macht, sammelt und speichert sie Energie. Dies umso mehr, als die nicht entbitterten getrockneten Eicheln Jahrzehnte lagerfähig sind und auf diese Weise zur Ernährungssicherheit ganzer Regionen einen Großteil beitragen können.

Hier sind alle Prinzipien vereint
Das ganze Projekt kam ins Rollen, weil Marcie, als sie schwer an Krebs erkrankt war, in einer Haltung von  Sammle-und-speichere-Energie ihre erste Website »I love acorns« aufbaute – damit das Wissen, das sie erworben hatte, ihr Leben würde überdauern können. Und sie zeigt den Bauern, wie sie aus den Eichel-sämlingen, die auf ihrem Land aufgehen, die stärksten auswählen und diese durch Beschneiden in den ersten Jahren so fördern können, dass daraus eine reich tragende Eiche heranwachsen kann. Um eine Ernte zu erzielen – sowohl in monetärer Sicht als auch bezogen auf die Reichweite ihrer Botschaft - entwickelte Marcie mit den »Acorncookies« (Eichelkeksen) ein professionell vermarktetes Produkt. Mit dem eben erschienenen Buch »Eating Acorns« (»Eicheln essen«) lädt sie andere ein, ebenfalls Eicheln zu verarbeiten – und läutet damit die nächste Sukzessionsstufe des Projekts ein: dass nämlich anderswo ähnliche Eichelprojekte entstehen, die Eichen einen Wert geben und damit Eichenwälder erhalten, was ja eine weitere wunderschöne Ernte des Projekts wäre.
In ihrer Anfangsphase auf Kea hatte Marcie Kostproben aus Eichelmehl immer wieder Bekannten angeboten und die Erfahrung gemacht, dass manche es rundweg ablehnten, die Speise überhaupt zu probieren, sobald sie erfuhren, dass sie aus Eichelmehl war. Sie hat diese Erfahrung als wichtiges Feedback aus dem System akzeptieren können und darauf geachtet, dass das zu entwickelnde Eichelprodukt wirklich lecker und niedrigschwellig zum Probieren ist. Dadurch, dass alle Verarbeitungsschritte in der unmittelbaren Nähe von Marcies Wohnhaus stattfinden, hat sie alles im Blick und kann kleinere Anpassungen im Vorbeigehen vornehmen. Sie hat also kurze Feedbackwege und das System kann sich selbst regulieren.
Marcie nutzt und schätzt erneuerbare Ressourcen und Dienstleistungen, indem sie die Eicheln konsequent mit Sonnenenergie trocknet und genau herausgefunden hat, wie wenig Wasserwechsel ausreichend ist, damit die Entbitterung gelingt.
Vergleicht man die Herstellung von Eichelmehl mit der von Weizenmehl, so steht einem hohen Arbeitsaufwand ein sehr geringer Input an fossiler Energie gegenüber; bei Getreide ist es umgekehrt. Zwar müssen Menschen zu den Eichen und wieder zurück transportiert werden, aber dazu sind weder einen Traktor, der pflügt, eggt, sät, erntet und drischt, noch mit hohem Energieaufwand hergestellte synthetische Düngemittel nötig.
Die erneuerbare Ressource menschliche Handarbeit wird wertgeschätzt, indem Marcie angenehme Kontexte kreiert und auf eine gute Balance zwischen Anstrengung und Erholung achtet. So habe ich es jedenfalls bei meinem Besuch empfunden.
Für jeden anfallenden Abfall erkundet Marcie Verwendungsmöglichkeiten: Für das tanninhaltige Entbitterungswasser ist sie in Kontakt mit einer Naturkosmetikfirma, denn der Kaltauszug gilt als verjüngend und hautstraffend. Und selbst die eingesammelten Raupen des Eichenrüsselkäfers verwendet Marcie: frittiert seien diese eine Köstlichkeit. Damit sorgt Marcie dafür, dass möglichst kein Abfall entsteht.
Zudem geht es bei diesem Prinzip darum, Hierarchien des nächstbesten Gebrauchs für Dinge zu etablieren, die noch nicht genutzt werden. Wenn Eicheln, die sonst nur von einer Maus angeknabbert oder sich direkt wieder zu Erde zersetzen würden, zu Tierfutter oder zu menschlicher Nahrung aufgewertet werden, so ist das ein Beispiel dafür, dass die Eicheln eine oder mehrere Stufen auf der Leiter des nächstbesten Gebrauchs nach oben geklettert sind – zumindest wenn wir diese rein anthropozentrische Brille aufsetzen, die wir ja auch brauchen, um gut für unsere Bedürfnisse als Menschen sorgen zu können. Und der Anteil, den Eicheln zum Futter bzw. zu unserem Essen beitragen, muss dann nicht anderweitig angebaut werden.
Ich habe lange darüber nachgedacht, welchem übergeordneten Muster das Projekt Oakmeal entspricht, denn jedes Permakulturprojekt soll vom Muster hin zum Detail entworfen werden. Nun weiß ich nicht, wovon Marcie sich beim Aufbau hat leiten lassen. Was ich im Projekt wahrnehme, ist, dass sehr viele verschiedene Akteure auf unterschiedliche Weise darin einbezogen sind: die Bauern, die selbst Eicheln sammeln und Eichelhüte verkaufen; die Ferienhausbesitzer auf Kea, deren Eichen Marcie beerntet; die Inselöffentlichkeit und die Touristen, die durch das jährliche Eichelfestival angelockt werden; die Ledergerberei in Deutschland als Abnehmer; die Freiwilligen und Interessierten wie wir, die beim Ernten und Verarbeiten helfen und dabei von Marcie alles über Eicheln erfahren. Die Feriengäste der »Red Tractor Farm«, die im Vorbeigehen die Verarbeitung der Eicheln sehen und im Hofladen Eichelkekse erwerben können; experimentierfreudige Konsumentinnen und Konsumenten weltweit; die Fachöffentlichkeit, die z.B. auf der letztjährigen Agroforsttagung in Frankreich von Oakmeal erfuhr.
An all dem zeigt sich, wie Marcie Menschen in das Projekt einbezieht, statt sie davon zu trennen – anscheinend mit einem feinen Gespür, was wer gerade braucht, um teilhaben und teilgeben zu können. So bietet Marcie für Landwirte von Kea den Service, deren Eicheln zu schälen, so dass sie sie als Tierfutter verwenden können. Denn die Schalen können den Magen der Tiere verletzen und nur Schweine haben die Fähigkeit entwickelt, die Schalen wieder auszuspucken.
 

Ein Spinnennetz
Das Muster des Projekts erscheint mir die Spinne zu sein, die vielfältige Verbindungen geknüpft und ein Netz an Beteiligten aufgebaut hat, das sich in konzentrischen Kreisen um die Hauptperson entspinnt.
Integriere eher als zu trennen, heißt auch, die vorhandenen Elemente und Faktoren auf Kea in eine sinnvolle Beziehung zu bringen: Die vorhandenen Ferienwohnungen ermöglichen den Aufenthalt von Freiwilligen und sind eine Einkommensquelle, die es wiederum ermöglicht, sich unbezahlter Arbeit zu widmen. Die Nähe zum Meer und das milde Klima im Herbst ziehen Menschen an, ihren Urlaub auf Kea zu verbringen – und dabei vielleicht sogar Eicheln zu sammeln.
Eichelmehl herzustellen ist ein langwieriger Prozess: Er bedarf vieler Arbeitsschritte und Ruhephasen. Eichen selbst wachsen langsam. Ernährung von Baumkulturen ist eine langsame Lösung, denn es braucht Zeit, bis Bäume ins ertragsfähige Alter kommen, im Gegensatz zum Anbau von einjährigem Getreide.
Bei Marcie sehe ich viele kleine und an die zu verarbeitende Menge angepasste Geräte – mit Ausnahme der Schälmaschine, die zu groß ist, wie Marcie selbst sagt. Mittlerweile gebe es auch kleinere Modelle. Alles befindet sich in Gehentfernung und ist ein kleines integriertes System – eine kleine Lösung mit Potenzial für Nachahmer: Marcie beerntet 200 von den etwa 200 000 Eichen auf Kea. Und es klingt nicht so, als ob sie das substanziell vergrößern wolle.
Wie schaut es mit der Vielfalt aus, die jedes Permakulturprojekt nutzen und schätzen soll? Da fällt mir vor allem die Vielfalt der Einkommensquellen ins Auge. Es gibt die Ferienappartements, den Weinbau, Oliven und das Johanniskrautöl, das Marcie neben den Eichelprodukten herstellt. Es ist mit Sicherheit ein Erfolgsfaktor des Projekts, dass Marcie, so wie ich es verstehe, nicht darauf angewiesen ist, von den Eicheln leben zu müssen. Marcie ist im Gespräch mit einem türkischen Unternehmen, das sehr viel mehr Eichelhüte abnehmen würde als die deutsche Ledergerberei, allerdings müssten statt 20 Tonnen gleich 200 Tonnen geliefert werden. Die bisher beteiligten Bauersfamilien sind alt… An dieser Stelle gibt es also wenig Vielfalt. Die aktuelle Herausforderung besteht laut Marcie darin, junge Menschen auf Kea für die Eicheln zu gewinnen und ihnen klarzumachen, dass sie sich durch das Sammeln von Eichelhüten in kleinen Teams gut ein kleines Nebeneinkommen generieren können –kein schlechtes Angebot in einem Land, in dem es gerade für junge Menschen sehr schwierig ist, wirtschaftlich unabhängig zu werden!
Nutze Randzonen und schätze das Marginale! lautet das einzige bisher noch nicht erwähnte Gestaltungsprinzip. Das Eichelprojekt selbst ist eine Randzone auf der von Luxustourismus und Olivenanbau geprägten Insel. Es ist an der Verwaltung von Kea, dies zu erkennen und zu unterstützen, etwa indem sie Lagermöglichkeiten für die erwähnten 200 Tonnen Eichelhüte zur Verfügung stellt, die das Projekt auf eine neue Stufe heben könnten.
Eicheln zu essen, ist eine bisher nur bei wenigen von uns vorhandene Randzone unserer Ernährung. Oakmeal trägt dazu bei, dass sich das ändern kann. Und wer weiß, was aus einer Ernährung, die auch auf Eicheln beruht, noch erwachsen würde. Wenn ich aber von den Hutanger-Eichen hier in der Hersbrucker Alb Eichelmehl herstellen möchte, so lässt sich die auf Kea gebräuchliche Produktionsweise nicht ohne weiteres übertragen. Denn die Gerbstoffe der bei uns heimischen Trauben- und Stieleichen lassen sich weniger leicht aus den Früchten lösen. Statt zwei Tage Entbitterungszeit brauchte ich sieben Tage bei täglichem Wasserwechsel. Außerdem können wir in unserem Klima nicht ohne weiteres im Herbst Eicheln mittels Solarenergie trocknen. Da brauchen wir also andere, an unsere Bedingungen angepasste Lösungen.
Es scheint mir, dass Permakultur dann entsteht, wenn Menschen sich etwas zum Ziel setzen, das der Permakulturethik entspricht, wenn sie sich mit dem Land verbinden und damit arbeiten, und wenn sie nach und nach menschliche und nichtmenschliche Akteure, Abläufe, Tätigkeiten und Elemente sinnvoll verknüpfen.


Judit Bartel (41) geht in ihrer Bildungs­arbeit der Frage nach, wie wir Menschen etwa mittels Permakultur oder naturverbundenen Ritualen wieder zu einem Lebendigkeit fördernden Teil des Lebensnetzes werden können. Email.

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