Permakultur

Lebensraum Hauswand

Grüne Wände schaffen mit Kletterpflanzen. Teil 6 der Praxis-Serie zum Schutz kleiner Wildtiere.von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #53/2019
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© Ulrike Meißner

Bei einem spätsommerlichen Besuch im Hausgarten von Kurt Forster (siehe Oya 13) wurde mir erstmals bewusst, wie viel gestaltbarer Lebensraum sich an unseren Gebäudewänden befindet. Die Nord- und die Ostseite von Kurts Haus waren vollständig mit Efeu bewachsen. Die Pflanzen standen in voller Blüte, es summte und brummte – die ganze Wand schien voll von Bienen zu sein. Welch ein Leben! Auf der Südseite des Hauses reiften leckere Trauben, und im Westen hingen dicke Birnen an einem Spalierbaum.
Die wohltuende Wirkung von Pflanzen an Gebäuden spüre ich besonders dann, wenn sie in Häuserschluchten einen grünen, lebendigen Raum inmitten von Stein und Beton schaffen. Doch auch in weniger verdichteten Umgebungen gibt es viele Gründe für die Begrünung von Wänden. Neben der optischen und psychologischen Wirkung auf uns Menschen wirkt sie sich positiv auf das Stadtklima aus; sie beschattet, bindet Staub und schafft Verdunstungsfläche. Insbesondere immergrüne Kletterpflanzen schützen dauerhaft das Mauerwerk, indem sie direkte Sonneneinstrahlung und Starkregen abhalten; zudem haben sie eine leicht wärmedämmende Wirkung. Unschätzbar wertvoll sind grüne Wände für die Tierwelt. Blüten erfreuen das menschliche Auge und die Mägen von Biene, Hummel und Co. Früchte sind im Herbst ein beliebtes Vogelfutter. Stengel- und Blattmasse bieten Lebensraum für Spinnen und andere Fliegenfresser sowie Nist- und Schutzplätze für manches Vogelpaar oder für Fledermäuse.
Die spätere Pflege der Pflanzen muss allerdings bei der Planung bedacht werden. Der zur Verfügung stehende Platz am Bauwerk sowie die Art und Stärke des Wachstums der gewählten Pflanzen entscheiden über den Pflegeaufwand.

Vielfalt an Wuchsformen
Bei ihrem Streben zum Licht nutzen Kletterpflanzen unterschiedliche Wege nach oben. »Schlinger« oder »Winder« wachsen in einer schraubenförmigen Windebewegung des Sprosses um eine Kletterhilfe, beispielsweise die Glyzinen (Wisteria sp.), Kiwi (Actinidia sp.) und Geißblatt (Lonicera sp.), der jährlich wieder neu heraufkletternde Hopfen (Humulus lupulus) oder die einjährigen Prunkwinden (Impomea tricolor) und Feuerbohnen (Phaseolus vulgaris).
»Ranker« bilden fadenförmige Befestigungsorgane, die die Stützelemente umwickeln. Dazu gehören beispielsweise die mehrjährigen Waldreben (Clematis sp.), die Weinrebe (Vitis vinifera) und einjährige Pflanzen wie Glockenrebe (Cobaea scandens), Gurke (Cucumis sativus) oder Kürbis (Cucurbita sp.). Alle Ranker benötigen bestimmte, jeweils angepasste Querschnitte der Kletterhilfen, um sie umranken zu können.
»Spreizklimmer« sind Pflanzen, die nicht im eigentlichen Sinne klettern. Ihre langen, dünnen Triebe neigen sich unter dem eigenen Gewicht und durchwachsen so die Kletterhilfen. Sie haken sich außerdem mit Stacheln, Dornen oder ähnlichem fest. Pflanzen wie Winterjasmin (Jasminum nudiflorum), Brombeere (Rubus sp.) oder Kletterrose (Rosa sp.) brauchen eine zusätzliche Befestigung an der Kletterhilfe für eine gute Standfestigkeit.
»Selbstklimmer« sind die Kletterpflanzen schlechthin. Mit Haftwurzeln oder Haftscheiben halten sie sich an Putz und Mauerwerk fest. Efeu (Hedera helix), Jungfernrebe/Wilder Wein (Parthenocissus sp.), Kletterhortensie (Hydrangea sp.) und Trompetenblume (Campsis sp.) brauchen keine Kletterhilfen; sie sind an guten Stand­orten äußerst wuchsfreudig und lassen sich kaum in bestimmte Wuchsrichtungen lenken.

Bauwerke beachten!
Insbesondere bei der Verwendung von Selbstklimmern ist eine genaue Abstimmung der Pflanzen auf die Fassade wichtig. Schadhafte oder feuchte Fassaden sind für Wurzelkletterer wie Efeu ungeeignet, da dessen Haftwurzeln bei feuchtem Untergrund zu Erdwurzeln werden können. Diese wachsen weiter, dringen in Risse und Spalten und können, wenn sie ­dicker werden, Wände sprengen. Dies ist bei Selbstklimmern bzw. Haftscheibenkletterern wie der Jungfernrebe nicht zu erwarten; ihre Haftscheiben werden nicht zu Erdwurzeln. Dennoch muss der Putz auch hier intakt, tragfähig und fest mit dem Mauerwerk verbunden sein, denn das Gewicht der Pflanze erhöht sich im Lauf der Zeit und kann ihren Haftgrund irgendwann von der Wand ziehen. Aus diesem Grund sind Selbstklimmer auch nicht für Wärmedämmverbundsysteme, vorgehängte Fassaden oder Schindeln zu empfehlen. Auch an Wänden, an denen regelmäßige Erneuerungs- oder Erhaltungsmaßnahmen wie Überholungsbeschichtungen oder Holzschutzanstriche nötig sind, kommen besser Gerüstkletterer oder Schlinger und Winder mit passender Kletterhilfe zum Einsatz.
Die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) empfiehlt, Schindeln, kleinformatige Wandbekleidungen, Dachdeckungen, offene Fugen vorgehängter Fassaden, Lüftungsöffnungen, Fenster und Rolladenkästen sowie technische Einrichtungen wie Fallrohre, Blitzschutzanlagen und Regenrinnen grundsätzlich von Bewuchs freizuhalten.

Passende Kletterhilfe
Kletterhilfen und die daran wachsenden Pflanzen können gezielt zur optischen Gliederung der Fassade eingesetzt werden. Dabei richten sich Bauart und Material­auswahl auch nach den Bedürfnissen der Pflanzen. Schlinger und Winder benötigen vorzugsweise senkrechte Halteelemente (Stäbe, Seile mit 30 bis 80 cm Abstand, Abrutschsicherung alle 0,5 bis 2 m). Ranker wachsen gut in gitterförmigen Konstruktionen (Gitterweiten 10 bis 20 cm, Durchmesser je nach Pflanzenart 0,4 bis 3 cm), und Spreizklimmer an horizontalen Elementen (Stangen, Rohre, Latten, Gitter mit 40 cm Abstand, Gitterweite 30 bis 50 cm).
Wichtig ist vor allem, dass der Wandabstand im Verhältnis zum potenziellen Durchmesser der Triebe am Wurzelhals passt. Die FLL empfiehlt Mindestabstände von 10 Zentimetern bei Arten mit dünnen Trieben wie Clematis oder Lonicera, von 15 Zentimetern bei Arten mit dickeren Trieben wie Kiwi, Weinrebe oder Rosen, sowie von 20 Zentimetern bei Glyzinien und Baumwürgern (Celasturus sp.). Außerdem sollte die Höhe der Kletterhilfe zur Wuchshöhe der Pflanzen passen, um einen ständigen Rückschnitt von überhängenden Trieben zu vermeiden.
Bei der Auswahl der Kletterhilfen müssen, wie gesagt, die Lasten bedacht werden, die durch die Grünmasse (gegebenenfalls mit Wasser oder Schnee bedeckt) oder durch die Kletterhilfe selbst entstehen. Hinzu kommt der Einfluss von Wind. Die Autorin Brigitte Kleinod geht bei mattenartig wachsenden Kletterern von bis zu 100 kg/m² Gewicht aus. Die Expertin Rita Gunkel schätzt das Gewicht der Pflanzen niedriger ein und gibt als Maximalwerte beispielsweise für Clematis-Arten 10 kg/­m², für Kletterrosen 9 kg/m², für die Weinrebe und große Kiwi 25 kg­/­m² und für den Spindelstrauch (Euonymus fortunei) 50 kg/­m² an. Werden Kletterhilfen direkt an der Wand befestigt, muss dies mit einer den Lasten entsprechenden (­hohen) Anzahl an Verankerungen erfolgen. Diese müssen in der zu tragenden Konstruktion (z. B. bei zweischaligem Mauer­werk), oder im tragenden Untergrund (z. B. bei Wärmedämmverbundsystemen oder Dämmputzen) befestigt sein. Hier sollten hinsichtlich der Durchdringung mit Verankerungselementen immer die Herstellerhinweise des jeweiligen Systems beachtet werden. Halterungen für Kletterhilfen sollten schubfest und biegesteif sein, um Rissbildungen durch Druck zu vermeiden. Bei zweifelhafter Tragfähigkeit können Kletterhilfen auch wandunabhängig vor die Fassade gestellt werden.

Der richtige Standort
Damit es der Pflanze gutgeht und sie ihre ganze dekorative und ökologische Kraft entfalten kann, muss sie nach dem Licht- und Wärmeangebot ausgewählt werden. Ob Pflanzen die volle Sonne benötigen oder eher im Halbschatten oder Schatten zurechtkommen, erfährt man am besten bei Fachleuten oder in der Fachliteratur. Bei manchen Arten, wie Clematis und Lonicera, gibt es sowohl Sorten für sonnige als auch für schattige Standorte.
Das Wachstum wird auch vom Boden­zustand beeinflusst. Im oft gestörten, meist mit Schutt durchsetzten Baugrund rund um Gebäude sollte die Pflanzgrube ausreichend groß und tief für die ausgewachsene Pflanze angelegt und gegebenenfalls mit angemischtem Substrat gefüllt werden. Das Material sollte dem natürlichen Standort der Pflanze entsprechen; optimal sind lockere, humusreiche Böden. Je größer die Pflanzen werden, desto größer sind auch ihr Wasser- und Nährstoffbedarf sowie der benötigte Wurzelraum. Eventuelle Abgrenzungen der Pflanzenbeete sollten daher so gestaltet sein, dass die Wurzeln darunter ungehindert in angrenzende Grünflächen, wie Rasen oder Staudenbeete, wachsen können. Liegen die Pflanzräume der Kletterpflanzen im Regenschatten von Gebäuden, muss besonders darauf geachtet werden, sie so groß zu gestalten, dass sie weit bis in den Garten ragen, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Sollten auf Schotter gebaute Wege diesen Bereich durchtrennen, gibt es eine recht einfache Möglichkeit, Wurzelkanäle unter dem Weg zu schaffen: Brigitte Kleinod empfiehlt den Einbau eines dicht mit Pflanzsubstrat gefüllten Tonrohrs durch den Schotter unter den Wegplatten. Dieser Tunnel hat an beiden Öffnungen direkten Anschluss an das Bodensubstrat und ermöglicht den Wurzeln das Wachsen hin zum Wasser.

Pflege von Anfang an
Neben dem Gießen ist bei mehrjährigen Kletterern insbesondere in den ersten Jahren nach der Pflanzung das Hinleiten und gegebenenfalls das Anbinden an die Kletterhilfe eine wichtige Pflegemaßnahme. Bei einjährigen Gewächsen ist dies jährlich neu nötig. Ein Rück- oder Erziehungsschnitt erfolgt später je nach Bedarf. Manche Arten, z. B. Weinrebe, Glyzinien oder Spalierobstbäume, freuen sich über einen jährlichen Rückschnitt und danken mit vielen Blüten- und Frucht­ansätzen.
Nicht zuletzt sollte auch der Boden im Pflanzbeet bei der Pflege(planung) berücksichtigt werden. Mulch oder dicht wachsende Polsterstauden auf der Fläche verhindern Dreckspritzer an der Gebäudewand, bremsen die Verdunstung und unterstützen ein gesundes Bodenleben. Gelegentliche Kompostgaben sorgen insbesondere bei begrenztem Wurzelraum für dauerhafte und gute Versorgung der ­größer werdenden Pflanzen.



Literaturtipps
* FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (Hrsg.): Richtlinien für Planung, Bau und Instandhaltung von Fassadenbegrünungen. 2018
* Brigitte Kleinod: Grüne Wände für Haus und Garten – Attraktive Lebensräume mit Kletterpflanzen. 2014
* Rita Gunkel: Fassadenbegrünung – Kletterpflanzen und Klettergerüste. 2004

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