Bildung

Dorfschule in Not

Wie die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Dorfschule ein ganzes Dorf ruiniert.von Anke Caspar-Jürgens, erschienen in Ausgabe #6/2011
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Innerhalb weniger Jahre hatte sich ein sterbendes Dorf in ein lebendiges Dorf verwandelt. Aus ursprünglich vier Einwohnern wurden vierzig Einwohner – davon die Hälfte Kinder –, aus null Arbeitsplätzen wurden sechzehn Arbeitsplätze, und aus einer Unterversorgung mit sporadischen mobilen Diensten wurden etablierte und verlässliche Strukturen. Die Entwicklung strahlte weit in die gesamte Region hinein. Spiritus Rektor dieser Entwicklung ist der Architekt Johannes Liess, der nicht nur seine eigene Familie, sondern auch andere Menschen dafür begeisterte, in Lüchow zu leben und zu arbeiten. Am Westrand des Dorfs weist ein Ensemble aus drei Gebäuden in die Zukunft: Ein Gemeinschaftshaus ist Kommunikations- und Versorgungspunkt mit Café, Dorfladen und Mensa; eine Werkstatt mit Kindergarten kümmert sich um die Jüngsten, und eine Schule bietet den Kindern der Umgebung die Möglichkeit, ortsnah zu lernen.
Entscheidend für den Erfolg der Schule war ein Netzwerk von Unterstützern: Die Behörden des Kreises, die Bundes- und Landtagsabgeordneten und das Landwirtschaftsministerium unterstützten das Projekt ideell und mit gut vierhunderttausend Euro auch finanziell, was allerdings einer Förderquote von nur zwanzig Prozent entspricht. Der restliche Anteil wurde selbst organisiert, z. B. durch Zustiftungen wie von der Software-Stiftung und durch die Unterstützung der GLS-Bank, vor allem aber durch die Mitglieder des Schülerelternvereins. Nur das Bildungsministerium in Schwerin stellte sich quer. Im November 2010 entzog es der Schule die Betriebsgenehmigung. Zwar wurde der Vollzug des Bescheids aufgrund einer Klage beim Verwaltungsgericht bis auf weiteres ausgesetzt, aber das Projekt bleibt weiterhin in großer Gefahr.

Widerstand formiert sich
Gegen diese Entscheidung protestiert vehement ein interdisziplinäres Netzwerk aus Wissenschaftlern, Planern und Kommunalpolitikern mit Interesse an Dorfentwicklung, der »Bleiwäscher Kreis«. Die Mitglieder beklagen, hier werde »ein Projekt beendet, das allen Anforderungen an Dörfer entspricht, die Experten und Politiker immer wieder formuliert haben.« Sie fordern: »Lasst Freiräume für Aktivitäten, vertraut auf die Stärken des Dorfs und unterstützt punktuell in angemessenem Rahmen.« Sie wehren sich gegen die Regierungsentscheidung, weil »sie den Menschen im Dorf einmal wieder vorführt, dass sie nur Spielball politischer Ränke und Intrigen sind.« Mit seiner Schule stirbt das Dorf, mahnen die Fachleute, sein kulturelles und sein nachbarschaftliches Leben, seine Infrastruktur und seine Arbeitsplätze. »Für unzählige Initiativen war dieses Dorf ein Vorbild und Mutmacher wie ein Leuchtturm: Wir können es schaffen!«
Was mag die Bildungsbehörde zu solcher Entscheidung treiben? Den beiden Lehrerinnen wirft sie eine unzureichende Aus­bildung vor. Tatsächlich sind sie durch ein wissenschaftliches Fachstudium und durch ein Klassenlehrerzertifikat der Waldorf­pädagogik für den Unterricht in sämtlichen Fächern qualifiziert.
Derlei Ungereimtheiten mehr füllen die langen Anklagebriefe der Behörde. Die Zahlung des Ministeriums wurde eingestellt, man will die Schule aushungern. Die Landschule Lüchow wäre nicht das erste Opfer einer derartigen Behördentaktik, um kleine Dorfschulen am Entstehen zu hindern oder bestehende kleine Schulen zugrunde gehen zu lassen. Am Fall Lüchow zeigt sich die verheerende Wirkung der Abhängigkeit des Schulsystems von der Politik auf besonders groteske Art. Es wird höchste Zeit, dass kleine Schulen Selbsthilfegruppen einrichten und aus der Bevölkerung breite Unterstützung für eine freie Bildung erfahren.  
 

Wie Sie die Dorfschule Lüchow unterstützen können
Durch eine Spende (gegen Spendenbescheiningung): Konto der Landschule Lüchow: Ostseesparkasse Rostock, BLZ 130 500 00, Konto 200 061 976.
 Auf 
www.landschule-luechow.de finden Sie Unterschriftenlisten und einen ­Protestbrief, den Sie an das Ministerium schicken können.
Unterstützend wirken auch Leserbriefe an Zeitungen, regional oder ­bundesweit, sowie Hinweise in Newslettern und Blogs. 

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