Titelthema

Wohin mit unserem Mist?

Es stinkt – schnell weg damit in die Kanalisation! Das ist die ­heutige Einstellung zu unseren Verdauungsprodukten. Dafür sind diese Schätze jedoch viel zu kostbar.von Anja Humburg, Andrea Vetter, erschienen in Ausgabe #43/2017
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© Maja Bahtijarevic

Der Gang auf die Toilette ist ein Akt politischen Handelns. In ­aller Regel spüle ich die Nährstoffe, die aus meinem Körper kommen, ins Nirgendwo hinweg. Möchte ich mit den Produkten meiner Verdauung die Erde nähren, ist ein großer Schritt notwendig – der Ausstieg aus dem System »Spültoilette«.
Erst seit gut 150 Jahren spülen Menschen ihren Urin und Kot mit Wasser in eine Kanalisation. Das Wasserklosett wurde zum Inbegriff für Zivilisation und Hygiene sowie für ein rationales und organisiertes Staatswesen. Doch stimmt dieses Bild auch? Durch die wachsende Stadtbevölkerung stand das 19. Jahrhundert vor der Herausforderung, die Toilette neu zu erfinden. Was in einer mittelalterlichen Stadt mit einem Misthaufen und der Abfuhr durch umliegende Bauern noch gut funktioniert hatte, wurde unter den Bedingungen der Industrialisierung logistisch unmöglich. Vor allem setzte sich, zunächst in der Oberschicht, eine Technik durch, die die Abfuhrmenge verzehnfachte: das Wasserklosett. Die Trinkwasser-Infrastrukturen waren zwar geschaffen worden, doch es gab zunächst nirgends eine Abwasserkanalisation, die auf große Mengen Schwarzwasser vorbereitet gewesen wäre. Das hatte katastrophale hygienische Folgen: Die Kindersterblichkeit in den Städten stieg enorm an, alte Menschen starben häufig an Durchfall­erkrankungen aller Art, dazu kamen mehrere Cholera­epidemien mit Tausenden Toten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tobte darum als »Städtereinigungsfrage« ein erbitterter Streit unter Experten, welche Art der Entsorgung die bessere wäre: eine Schwemmkanalisation oder aber ein Tonnen-Abfuhr-System, das die Nährstoffe zu Dünger weiterverarbeitete. Es gab erheblichen Zweifel daran, ob es eine gute Idee sei, alles wegzuspülen. Viele weitere Jahrzehnte vergingen, bis die Klärtechnik so weit fortgeschritten war, dass die Flüsse im Umfeld der Städte nicht länger durch Abwässer aller Art verseucht wurden.

In der Nische
Ganz verschwunden war die Trockentoilette jedoch nie: Im Siedlungsbau der 1920er Jahre wurden beispielsweise in Dessau mehrere Gartensiedlungen mit Torf-Streu-Klosetts angelegt, um den Humusaufbau zu befördern. In Skandinavien waren es die Sommerhäuser ohne Kanalisationsanschluss, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts Raum für die technische Weiterentwicklung von Toiletten ohne Wasserspülung boten.
Mit dem erwachenden ökologischen Bewusstsein der 1970er Jahre erhielt die Humus- oder Komposttoilette politische Bedeutung. 1975 verfasste der Künstler Friedensreich Hundertwasser sein Manifest der »Heiligen Scheiße«. Es endet mit den Sätzen: »­Natürlich ist es etwas Ungeheuerliches, wenn der Abfallkübel in den Mittelpunkt unserer Wohnung kommt und die Humustoilette auf dem schönsten Platz zum Ehrensitz wird. Das ist jedoch genau die Kehrtwendung, die unsere Gesellschaft, unsere Zivilisation jetzt nehmen muss, wenn sie überleben will.«
Diese Sätze sind 42 Jahre alt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hatte damals bereits Fahrt aufgenommen. Dass sie kein gutes Ende nehmen und den Humus weltweit zu einer bedrohlich schwindenden Ressource machen würde, war weitblickenden Menschen wie Hundertwasser bewusst. Aber die Kehrtwendung, die er so leidenschaftlich gefordert hatte, ist noch immer nicht in Sicht.
In den 1980er Jahren gab es eine erste Welle von Toiletten-­Experimenten in der alternativen Szene. So veröffentlichte ­Christian Kuhtz in seiner Selbstbau-Reihe »Einfälle statt Abfälle« ein Anleitungsbüchlein zum Bau von Komposttoiletten.
Inzwischen existieren viele verschiedene Systeme. Es gibt nicht »die« Komposttoilette als Standard-Modell; wer ein mehrstöckiges Stadthaus plant, benötigt eine andere Technik als eine Dorfbewohnerin mit einem großen Garten. Manche Komposttoiletten sammeln Kot und Urin separat, andere nicht, weil reichlich Einstreu verwendet werden kann oder eine Drainage am Boden des Sammelbehälters angebracht ist. Es gibt auch Trenntoiletten, die ganz ohne Einstreu arbeiten und mit Hilfe eines Belüftungsrohrs für Geruchsfreiheit sorgen. Einzelne Modelle wollen schon im Badezimmer die Kompostierung möglichst gut in Gang setzen, zum Beispiel indem neuer Kot beständig unter den alten gemischt wird – in einer mittels eines Fußpedals drehbaren Trommel hinter der Toilettenschüssel. Keine Lösung scheint aber so elegant wie die eines Bauernhofs aus dem vorvorigen Jahrhundert: der Abtritt über dem Misthaufen der Haustiere. Wenn letzterer, wie auf Kleinbauernhöfen üblich, ein dampfender, heißer Haufen war, ging es kaum einfacher und hygienischer.

Das Recht auf Kompost
Inzwischen sind Komposttoiletten immer öfter auf ökologischen Festivals zu sehen. Die Vorstellung, sich so etwas ins eigene Haus zu holen, stößt jedoch nach wie vor auf große Skepsis. Viele fragen sich, ob es überhaupt erlaubt ist, den eigenen Mist zu kompostieren.
Bei Licht betrachtet, sind Menschen, die ihre Fäkalien selbst sammeln, rechtlich in einer starken Position: Es handelt sich dabei nicht um Abwasser, sondern um Abfall. Gesetzlich spricht nichts dagegen, selbsterzeugte organische Abfälle auf dem eigenen Gelände zum Eigenverbrauch zu kompostieren. Doch gibt es dazu nur in wenigen kommunalen Bauordnungen klare Vorgaben oder Kommentare. Der Erfinder des Trockentoiletten-Systems »Goldgrube«, ­Karsten Holzapfel, hat sich zehn Jahre lang mit den Thüringer Behörden auseinandergesetzt, bis sie seine Auffassung, dass gesammelter Kot mit Abwasser nichts zu tun habe, akzeptierten. »Grundsätzlich habe ich als Hausbesitzer ein Recht darauf, meine Spültoilette abzuschaffen«, meint Wolfgang Berger, der schon seit den 1980er Jahren Komposttoiletten auch in städtische Wohnungen einbaut. »Es kommt immer darauf an, wie kooperativ und fortschrittlich die Behörden denken. Je nach Bundesland und Landkreis kann das sehr unterschiedlich sein.«
Der Anschlusszwang an die öffentliche Kanalisation ist in der Praxis häufig ein Grund, weswegen die Abwasserverbände sich querstellen. Deshalb sind Siedlungen, die ihre Abwasserentsorgung selbst regeln dürfen, die idealen Pionierprojekte für einen sinnvollen Umgang mit Wasser und Verdauungsprodukten.
Das Dorf Reckenthin in der Prignitz zum Beispiel ist an keine öffentliche Abwasserkanalisation angeschlossen. Die ortsansässige »Akademie für Suffizienz« erhielt 2016 die Genehmigung, die Fäkalien allein durch Komposttoiletten zu »entsorgen«. Schwarzwasser fällt somit nicht an; für die Abwässer aus Küche und Bad wurde eine Pflanzenkläranlage gebaut. Die Betreiberinnen der Akademie mussten schriftlich erklären, den experimentellen Charakter der Anlage anzuerkennen und bei Havarien die Konstrukteurin nicht juristisch zu belangen. Bisher hat alles gut funktioniert.

Die Kompoststadt
Als »Outhouses« mit romantischem Blick über Täler und Wälder tragen Komposttoiletten das Image ländlicher Idylle. Doch lässt sich von lebensdienlicher, konvivialer Technik sprechen, wenn die Stadtbevölkerung weiterhin auf Wasserklosetts angewiesen ist? Gerade in den Städten wird deutlich, wie die Entscheidung für die Spültoilette eine Pfad­abhängigkeit geschaffen hat – auf einen anderen Weg abzuzweigen, scheint kaum möglich. Dabei wäre technisch vieles denkbar. Ralf Otterpohl forscht an der Universität in Hamburg-Harburg seit langem an Humusklosetts für die allgemeine Verwendung. Der Schlüssel für die einfache Anwendung in der Stadt ist die Sammlung der Kostbarkeiten im Keller. Wolfgang Berger hat schon in vierstöckigen Wohnungen Toiletten installiert, deren Fallrohre in einem gemeinsamen Sammelbehälter im Keller münden. Urin und Kot werden nicht getrennt, die Bewohner werfen außer Einstreu auch ihre ­Küchenabfälle in die Toilette. Damit die Sache nicht fault und stinkt, sondern ein wohlriechender Kompostierungsprozess beginnt, muss einmal im Monat ein wenig Luft und saugfähiges Material eingebracht werden.

Karsten Holzapfel will es mit seiner »Goldgrube« noch wartungsärmer und platzsparender gestalten: Der Kot fällt vom Urin getrennt und ohne die Zugabe von Einstreu in einen Sammel­behälter, der mit einem Abluftrohr versehen ist. Pro Mensch und Jahr sammeln sich etwa 60 Liter Kot an; der Urinkanister muss einige Hundert Liter fassen. Einmal jährlich bringt ein Saugwagen die Sammlungen zu einer städtischen Kompostierungsanlage.
Wer den idealen Kompostierungsprozess im Blick hat, wird ­sicherlich nicht auf den Gedanken kommen, den kostbaren Kot ein Jahr lang im Keller zu lagern – könnte er sich doch längst in einem luftig aufgeschichteten Komposthaufen nützlich machen. Doch gibt es auch Stadtprojekte, die in ihrer Sammelgrube für Lebendigkeit sorgen: In Genf existieren zwei mehrstöckige Wohnhäuser der Kooperative »Equilibre« mit jeweils drei Dutzend Wohnungen, bei denen die Verdauungsprodukte der Bewohnerinnen und Bewohner mit wenig Regenwasser in den Komposter im Keller gespült werden. Das überschüssige Wasser wird abgeführt und gereinigt. »Bei der einen Anlage wird die Sammlung der Feststoffe nur alle vier bis fünf Jahr geleert und auf dem Areal kompostiert. Die andere funktioniert wie eine große Wurmkiste mit Tausenden von Kompostwürmen, die einen nährstoffreichen Wurmhumus herstellen«, sagt Jojo Linder vom Schweizer Verein »Kompotoi«.
Das Bild von der alleinstehenden Holzhütte, die man nachts in Eiseskälte aufsucht, passt jedenfalls kaum mehr zu den heutigen Komposttoiletten.
Wo sind also die mutigen Planerinnen und Planer neuer ­Humus-Siedlungen? Sie könnten sich mit experimentierfreudigen Stadtverwaltungen zusammentun: Viele Recyclinghöfe ­verwerten heute schon Küchenabfälle und Tiermist. Sie verfügen somit über eine Infrastruktur, um künftig die Kompostierung der menschlichen Fäkalien in größerem Umfang vorzunehmen. Neu ausgewiesene Baugebiete könnten ein eigenes, viel kleineres Abwassersystem erhalten, in dem nur das Grauwasser – also Küchen- und Waschwasser – in eine lokale Pflanzenkläranlage fließt.
Wer aber einen Garten besitzt, dürfte ohnehin keine Ausrede mehr haben, kein Kompostklosett zu bauen. Die folgenden Seiten zeigen Beispiele von Komposttoiletten aus der Oya-Leserschaft, an denen viele praktische Fragen zum Umgang mit dem eigenen Mist studiert werden können.   


Kompostklosett selbst bauen
Christian Kuhtz, Reihe »Einfälle statt Abfälle«, Haushalt-Heft 1: Das Kompostklo
Dreiteiliges Webinar der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis über Funktionsweise, Rechtliches und Selbstbau, www.kurzlink.de/kompostklo-webinar

Literatur
Wolfgang Berger: Kompost-Toiletten für Garten und Freizeit: Sanitärtechnik ohne Wasser und Chemie, Ökobuch, 2015
Claudia Lorenz-­Ladener, Wolfgang Berger: Kompost-Toiletten. Sanitärtechnik ohne Wasser, Ökobuch, 2008

Komposttoiletten zu kaufen
www.berger-biotechnik.de
www.holzapfel-konsorten.de,
www.komposttoilette.com
www.naturbauhof.de
www.triaterra.de


Komposttoiletten, zusätzlich für Veranstaltungen zu mieten
www.ecotoiletten.de
www.goldeimer.de
www.kompotoi.ch
www.oekolocus.de
www.nowato.com

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