Titelthema

Das ganze Jahr über ernten

Winterhartes Gemüse und schlaue Gewächshäuser machen den Winter fruchtbar.
von Isabell Schultz, erschienen in Ausgabe #39/2016
Photo
© Frank Gaertner / Shutterstock

Im März begann die Gartensaison in unserem Schrebergarten mit dem Bau eines Frühbeets aus dem Holzrahmen eines alten Aushangkastens und ausgedienten Gehwegplatten. Auf rund einem Quadratmeter gibt es dort genügend Platz für zahlreiche kleine Töpfe. Die nach Süden ausgerichteten Glasscheiben sind so geneigt, dass sie die Sonne optimal einfangen. So konnten wir den Pflanzen einen kleinen Vorsprung geben und mit der Vorzucht verschiedener Blattsalate, Frühmöhren, Mark­erbsen und Radieschen beginnen. Ungeduldig sahen wir dem Wachsen der kleinen Pflänzchen zu, während die Beete ringsherum noch im Winterschlaf versunken waren.
Doch dass ein Garten in der kalten Jahreszeit nichts hervorbringen könne, ist ein Irrglaube. »Einen Anfang und ein Ende der Erntezeit gibt es eigentlich nicht«, betont der Permakulturdesigner Erwin Zachl. Genauso wie es wärmeliebende Pflanzen gibt, fühlen sich Grünkohl, Winterportulak oder Feldsalat bei kalten Temperaturen sehr wohl und erhalten gerade bei Kälte durch die Umwandlung der in ihnen ­enthaltenen Stärke zu Zucker einen intensiveren, süßeren Geschmack. In den sommerlichen Monaten ist es Zeit, die Feldfrüchte für die Herbst- und Winterernte auszusäen, zum Beispiel im Juni den Grünkohl, im Juli Zuckerhutsalat oder im August Schwarzwurzeln, die bei Frost in der Erde bleiben können.
Der Herbst ist zwar vor allem die Zeit der Ernte und des Einlagerns, doch auch jetzt können noch einige kurz­umtriebige Gemüsesorten – Pflanzen mit kurzer Wachstumsperiode, wie Spinat, Kohlrabi oder Rettiche – ausgesät werden. Droht bereits Frost, wird das Frühbeet zum Spätbeet umfunktioniert. Im September ist auch noch Zeit, Wintersalate wie Endivien, Radiccio oder Feldsalat in den Boden zu bringen.
Zunehmend rücken auch mehrjährige Gemüsesorten ins Bewusstsein der Gärtner. Die Blätter des »ewigen Kohls«, der nie blüht, sind zum Beispiel das ganze Jahr über ähnlich wie Pflücksalat zu ernten. Auch in unserem Garten befinden sich seit dem Frühjahr einige Exemplare davon. Bereits nach kürzester Zeit wurden aus den kleinen Stecklingen buschige Gewächse.
Im Dezember und Januar scheint die Kälte den Garten in eine Winterstarre zu versetzen, doch wer genau hinschaut, sieht die Winterkresse, auch Barbarakraut genannt, unter dem Schnee hervorlugen. Solange der Boden nicht hart gefroren ist, lassen sich nicht nur Rüben aus der Miete oder aus dem Keller, sondern Pastinaken, Schwarzwurzeln und Lauch direkt aus dem Beet holen. Nicht nur der ewige Kohl, sondern auch Grünkohl und Rosenkohl können bis in den Winter hinein geerntet werden  – und mit der richtigen Technik noch vieles mehr. Wird Zuckerhutsalat zum Beispiel nicht vom Feld direkt in die warme Küche gebracht, sondern langsam in einem Raum mit Temperatur leicht über dem Gefrierpunkt aufgetaut, ist er auch nach dem Frost genießbar. Im Februar kann der aus­dauernde Knollenziest, auch als Knollenkartoffel bekannt, geerntet werden. Er schmeckt ähnlich wie Kohlrabi, wobei die Textur eher an grünen Spargel erinnert.

Der richtige Standort
Wer seinen Garten auch in der kalten Jahreszeit lebendig hält, weiß, dass Bodenbeschaffenheit, Feuchtigkeit, Licht, Wärme und Wind eine entscheidende Rolle bei den Wachstumsbedingungen spielen. Es ist wichtig, zu bedenken, dass sich der Winkel der Sonneneinstrahlung im Winter verändert. Die Sonnenplätze werden im Herbst immer kleiner, aber mit Hilfe von Sträuchern, Stauden oder auch Sonnenblumen können sogenannte Sonnenfallen errichtet werden: Sie werden in U-Form, nach Süden hin geöffnet, gepflanzt. Dabei ist es wichtig, nicht zu hohe Sträucher einzusetzen, da ihr Schatten sonst kühlend wirkt. Die dichtesten und höchsten Bäume stehen idealerweise auf der Nordseite eines Gartens, um die kalten Winde abzuhalten. Nach Osten und Westen hin nimmt die Pflanzhöhe dann ab, damit genügend Sonnenlicht einstrahlen kann. In einer Sonnenfalle herrscht ein milderes Kleinklima, das durch Steinhaufen oder Wasserflächen noch gefördert werden kann. So wird nicht nur empfindlicheren Pflanzen Schutz geboten, sondern auch die Anbauphase vorgezogen und die Erntezeit verlängert. Eine weitere Methode, für mehr Wärme zu sorgen, ist das Anlegen von Hügelbeeten aus Pflanzenteilen, Mist und Kompost, möglichst nach Süden hin ausgerichtet. Durch die Aufschichtung wird der Boden gut durchlüftet und aufgrund der Vergrößerung der Oberfläche auch schneller erwärmt.

Ernten in allen vier Jahreszeiten
Dass es nicht möglich sei, im ­Winter aufgrund des Licht- und Wärme­mangels frisches Gemüse zu produzieren, empfindet auch Eliot Coleman als Irrglaube. Der Gemüseanbauer gilt als Pionier der Wintergärtnerei und zeigt auf seiner »Vier-Jahreszeiten-Farm« im US-Bundesstaat Maine, dass die Ernte im Winter nicht zu Ende sein muss – ganz im Gegenteil: Für ihn und seine Frau beginnt ab Oktober die zweite Gartensaison! In den 1970er Jahren suchte der Bio-Gemüsebauer nach einer einfachen, kostengünstigen und nutzerfreundlichen Lösung für die Produktion und den Vertrieb in der kalten Jahreszeit. Hypermoderne Materialien und Technik oder zusätzliche Beleuchtung kamen für ihn nicht in Frage. Colemans ganzjähriger Gemüseanbau beruht auf drei simplen Elementen: Erstens gilt es, geeignete Sorten zu wählen und viel kältetolerantes Gemüse anzubauen. Zweitens setzt Coleman auf eine kontinuierliche Ernte und rät, Gemüsekulturen während der Saison mehrmals anzubauen. Dabei sind vor allem der richtige Zeitpunkt der Aussaat sowie die Kultur- und Fruchtfolge zu beachten. Im März kann zum Beispiel in den mittleren Bereich eines Beets Spinat gesät werden, gefolgt von Frühkartoffeln, die im April in die Randbereiche gelegt werden. Wurde der Spinat geernet, kommt Rosenkohl an seine Stelle, die Kartoffeln lösen im August Grünkohlpflänzchen ab. Als drittes Element seiner Strategie nennt Coleman die geschützte Produktion. Ideal ist die eine isolierende Schneedecke, doch darauf kann man sich nicht verlassen. Daher setzt er auf Folientunnel oder Abdeckungen aus Licht-, Luft- und feuchtigkeitsdurchlässigem Vlies.

Pflanzen ein Zuhause bauen
Um den nicht-winterharten Pflanzen Schutz vor Väterchen Frost zu bieten, lassen sich eine Vielzahl von Bauten errich­ten. Die Vier-Jahreszeiten-Farm setzt beispielsweise auf zwei verschiedene Arten von Gewächshäusern: Als »Kalthaus« bezeichnet Coleman unbeheizte Tunnel aus Folien, die durch integrierte Frühbeetkästen oder Vliesabdeckung wirkungsvoller gemacht werden. Das hat den Effekt, als würde man diesen Teil des Gartens in eine südlichere Klimazone verschieben. In anderen, frostfreien Gewächshäusern heizt Coleman mit Holz, um eine Minimaltemperatur von null Grad zu erhalten. Um zwischen den sommerlichen und winterlichen Anbauphasen flexibel zu wechseln, verwendet Coleman ein mobiles Gewächshaus. Die Konstruktion aus Kantrohren und Folien kann mit Hilfe von Schienen auf den Feldern bewegt werden. So bietet sie im Sommer Raum für wärmeliebende Pflanzen wie Tomaten, und im Winter schützen sie andere, im Herbst eingesäte Pflanzen an ihrem Standort vor Kälte. Ein Vorteil gegenüber festen Gewächshäusern ist, dass der Boden vor und nach dem Einsatz mit den reinigenden Kräften von Sonne, Regen und Wind in Berührung kommt und sich so keine Krankheiten und Nährstoffüberschüsse anreichern ­können.
Doch ist nun Folie die einzig wahre Lösung für die Winterernte? Auch wenn Coleman in seinem »Handbuch Wintergärtnerei« viele Vorteile des Materials präsentiert, frage ich mich, wie Biogärtnerei und Plastik zusammenpassen. Eine plastikfreie Winterlösung bietet der Bau von sogenannten Anlehngewächshäusern, wie sie zum Beispiel der Permakulturist Harald Wedig an der Südwand seines Strohballenhauses umgesetzt hat (siehe Oya Ausgabe 36). Der Bau besteht aus zwei Stockwerken; die warme Luft steigt nach oben und ventiliert mit Hilfe eines Steinwärmespeichers. Diese Wärme kann zusätzlich zum Beheizen der Wohnung genutzt werden. Der Teich vor dem Gewächshaus reflektiert zusätzliche Sonnen­strahlung ins Innere – ein gutes Beispiel für das effektive Zusammenspiel von Gemüseanbau und Wohnen.

Im Erdreich versteckt?
Bei meiner Recherche nach Möglichkeiten, die Anbauphase zu verlängern, verschlug es mich auch in die Tiefen des Erdreichs. Erd- oder Senkgewächshäuser sind im Prinzip aufgebaut wie Frühbeete, jedoch bis zu einem Meter in die wärmespeichernde Erde eingelassen. Das Dach besteht wahlweise aus Glas oder Folie, und der Winkel ist, wie beim Frühbeet, nach Süden geneigt. Je nach Breitengrad ist die Neigung unterschiedlich stark, so dass möglichst viel Sonneneinstrahlung eingefangen wird. Auch wenn die Sonne tiefer steht, sollte das Gewächshaus nicht durch einen Baum oder ein Gebäude verdeckt werden. Die Nordwand wird mit Steinen verstärkt, so dass die tagsüber aufgenommene Wärme nachts an die Pflanzen abgegeben wird. Der Boden des Erdgewächshauses besteht aus verschiedenen Schichten: die unterste aus Steinen und Schotter wird von einer zweiten Schicht aus Stroh und Schafsmist bedeckt, darüber kommt ein Gemisch aus Humus und Kompost. Zusätzlich können Belüftungssysteme und Wasserfässer integriert werden, die die Wärmespeicherung noch verbessern. Das Prinzip stammt ursprünglich aus Bolivien und ist auch hierzulande unter dem Namen »Walipini« bekannt, was so viel wie »warmer Platz« bedeutet. Nach praktischen Versuchen mit etlichen Gewächshäusern, Frühbeeten und Folien­tunneln entdeckte auch Erwin Zachl im Jahr 2003 diese Bauweise für sich und errichtete das erste Walipini Österreichs. Den ersten wirklich harten Winter überlebten seine Pflänzchen darin aber nur knapp, denn er hatte den Winkel der Dachkonstruktion zu flach gewählt, was die Einstrahlung der Wintersonne erheblich behinderte. Positiv bewährte sich die massive Thermomasse und Isolierung der Nordseite des Walipinis, errichtet aus starken, liegenden Baumstämmen, die mit Lehm verkleidet waren. Im Jahr 2006 baute Erwin ein zweites Erdgewächshaus, dem noch weitere Modelle folgen sollten, jedes Exemplar noch besser an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Ob ein solches Walipini auch den Temperaturen des norddeutschen Winters standhalten würde? ­Eigentlich müsste man, je weiter es Richtung Norden geht, nur die Dachneigung vergrößern, um die niedriger stehende Sonne einzufangen. Harald Wedig hält das aber für zu aufwendig; er würde eher ein Gewächshaus aus Strohballen bauen.

Nehmen, was da ist!
Gibt es überhaupt die eine Lösung für eine wirkungsvolle Verlängerung der Anbauphasen – und somit die Möglichkeit, im Winter zu ernten? Unwahrscheinlich, denn die regionalen Unterschiede bringen verschiedene Schwierigkeiten hervor, die unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. Wer sich von der Praxis anderer anregen lässt und das Klima sowie die vor Ort verfügbaren Materialien kennt, wird mit der Zeit die ideale Anbauweise finden.
Ein Blick in die Geschichte zeigt ein inspirierendes Beispiel: die Pariser Gärten. Vor 150 Jahren wurde auf einem Sechstel des Stadtgebiets Gemüse angebaut, so dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht nur selbst versorgen, sondern den Überschuss exportieren konnten. Mit Hilfe eines Gemischs aus Pferdemist – damals Nebenprodukt der Pferdekutschen – und Stroh konnte das Gemüse in sogenannten Mistbeetkästen mit Glasabdeckung selbst im Winter geerntet werden. Die Wärme entstand durch den Rotteprozess des Pferdemists im unteren Teil der Beetkästen. Die Stroh-Mist-Mixtur wurde zum Wärmen auch zwischen die Beete gestreut. Zusätzliche Strohmatten auf den Beeten sorgten in der Nacht für ausreichende Isolierung. Die Jungpflanzen wurden mit Glasglocken abgedeckt. Was so simpel klingt, versetzte die »maraîchères« (Gemüsegärtnerinnen) in die Lage, sich ­lokal und autark zu ernähren.
Eines ist sicher: Diesen Herbst werde ich mein Frühbeet in ein Spätbeet umwandeln und mit Pferdemist und Stroh ­bereichern... Ich freue mich schon auf die ­frischen Wintersalate und Kohlsorten, die ich im Winter ernten werde! •


Isabell Schultz (28) studiert Nachhaltigkeits­geografie in Greifswald und beackert dort einen Schrebergarten.


Mehr zur Vier-Jahreszeiten-Gärtnerei
Eliot Coleman: Handbuch Wintergärtnerei. Frisches Biogemüse rund ums Jahr. Löwenzahn, 2014

weitere Artikel aus Ausgabe #39

Photo
Permakulturvon Declan Kennedy

Blick zurück nach vorn

Einen der bedeutendsten Ansätze zur Vernetzung ökologischer Maßnahmen – von der Planung einzelner Häuser bis hin zu ganzen Regionen – lernten meine Frau Margrit Kennedy (†) und ich 1980 kennen: die Permakultur. Ein Jahr darauf brachten wir sie von

Photo
von Isabella Hafner

Essig hat eine gute Mutter

Dass Mäde Roth, 83, jemals Obstessig gekauft hätte, daran kann sie sich nicht erinnern. Sie macht ihn selbst, meist aus Apfelsaft – das letzte Mal vor zwei Monaten.

Postkollapsfähig? So einfach nicht!

Gummiringe▶ Einkochen (Seite 20)Einkochen ist eine großartige Technik. Doch wie kommt der verflixte Gummiring auf eine menschen- und naturfreund­liche Weise ins Haus? Gummibänder, Handschuhe, Kondome und sogar Matratzen gibt es aus ökologisch angebautem, fair gehandeltem

Ausgabe #39
Wir werden konservativ

Cover OYA-Ausgabe 39
Neuigkeiten aus der Redaktion