Titelthema

Reparieren ist ziviler Ungehorsam

An vielen Orten zeigt sich die transformative Kraft von Reparatur-Cafés.
von Isabella Hafner, erschienen in Ausgabe #37/2016
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© www.annalenaschiller.com

Anna, 14, hat sich ein neues Smartphone »geholt«. Das alte war schon zwei Jahre alt, das Display »hat gesponnen, und nach zwei Jahren kriegt man eh ein Neues«. Das Handy ihrer Mutter ist 15 Jahre alt, hat Schönheitsfehler, sonst keine ­Macken. Eigentlich könnte Anna mit ­ihrem Smart­phone im Ulmer Reparatur-Café vorbeischauen. Ein Klick auf www.reparatur-initiativen.de – sofort würden ihr Adres­se und Termine angezeigt. Freiwillige versuchen dort, kaputte Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, aber auch Fahrräder oder Spielzeuge fremder Menschen wieder in Gang zu bringen. Nach Kuchen, Kaffee oder Tee und Tüftelei hat man das Gerät vor sich meist durchschaut – und oft auch ein bisschen das Gegenüber.

Reparatur-Cafés sprießen weltweit aus dem Boden. 40 Initiativen waren es in Deutschland im Januar 2014, eineinhalb Jahre später bereits 270. Was für viele Ü70 selbstverständlich war – Flicken, Reparieren, Upcyceln – all das boomt. Ein Grund dafür war das Buch »Murks? Nein danke!« von Stefan Schridde. Er behauptet darin, dass in viele Produkte ein Verfallsdatum eingebaut sei, die »geplante Obsoleszenz«. Die Bundestags-Grünen beauftragten ihn daraufhin mit einer vielbeachteten Studie.
Warum ist Reparieren plötzlich sexy? Was steckt dahinter? Das haben sich Tom Hansing, Linn Quante und Ina Hemmelmann von der Münchener Stiftungsgemeinschaft »anstiftung & ertomis« gefragt und eine 70-seitige Multimedia-Broschüre zum Thema zusammengestellt. Sie dient auch zur Vernetzung von Repair-Cafés und enthält Anleitungen zum Knacken eines gut verklebten Laptops, zu Fehlerquellen, Infos zu Ersatzteilen und Haftungsfragen, Vorlagen für Flyer sowie Ratschläge, wie man selbst ein Repair-Café gründet.
Ob sie nun Reparaturtreff, Elektronikhospital, Café Kaputt oder Repair-Café heißen – die Macher der Broschüre haben gemerkt: Reparatur-Initiativen stiften Menschen zu umweltfreundlichem Ungehorsam an. Sie sprechen von einer neuartigen sozialökologischen Bewegung. »Die legt Hand an Konsum- und Wegwerfpraktiken und schraubt am Verständnis dessen, was Menschen können, sollen und dürfen.« Andrea Baier, Mitautorin des 2013 erschienenen Buchs »Stadt der Commonisten« und wissenschaftliche Mitarbeiterin der »anstiftung«, ordnet solche neue Formen des Do-It-Yourself beziehungsweise Do-It-Together so ein: »Das ist ein Ausdruck für gesellschaftliche Krisen in den westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaften.«
Wer sind diese Alltagsrebellen? Linksliberale, Alternative? Oder einfach nur gesellige Kaffeetanten? Sparfüchse, die auf Gratis-Service stehen? Das allein kann es nicht sein. Gastronomische Cafés gibt es überall, neu kaufen ist einfacher, außerdem sind für die Reparaturen Spenden erwünscht.
Die Rebellen stammen aus unterschiedlichen Milieus, sind unterschiedlich gebildet, haben unterschiedlich viel Geld und sind unterschiedlich alt. Viele kommen aus dem Kleinbürgertum. »Es sind nicht so die Hipster wie beim Urban Gardening«, erklärt Andrea Baier, »sondern eher diejenigen, die einen Missstand sehen und ihn un­ideologisch und pragmatisch angehen.«
Eine weitere Motivation, die heute oft unterschätzt wird, ist die Freude am gemeinsamen Tun und Tüfteln, an geteilten Aha-Erlebnissen, am Reden, Helfen, Erleben. Beim Reparieren entstehen Freundschaften, für manche ganz unvermutet auch zu Lötkolben und Schraubenzieher.

Die Älteren können es noch
Da reparieren die Mitglieder des Starnberger Seniorentreffs einmal im Monat Kaffeemaschinen und Röhrenradios. Regelmäßig kommen 40 bis 60 Besucher, »einmal mussten wir wegen Überfüllung zeitweise schließen«, sagt der Leiter des Treffs, Hans-Peter Stoehrel, und weiter: »Senioren werden in unserer Gesellschaft oft unterschätzt, dabei sind viele hochmotiviert, produktiv und voller Tatendrang.« Mittlerweile besteht auch ein Kontakt zum Gymnasium, Schüler sollen eingebunden werden.
In der Augsburger »Fahrradwerkstatt« reparieren Flüchtlinge Räder, bauen neue, Seite an Seite mit Einheimischen. Initiator Holger Thoma sieht es kritisch, wenn woanders Flüchtlingen einfach ein Rad hingestellt wird. »Wenn alles vorhanden ist, wächst die Anspruchshaltung.« Oft kämen Geflüchtete zudem aus Ländern mit Subsistenzwirtschaft, wo Selbermachen dazugehört. Er hofft, dass im Frühling Flüchtlinge und Augsburger miteinander Radtouren unternehmen werden.
Dass Technikfritzen und Computer-Nerds auch mit Normalos können, zeigt der »Shackspace« in Stuttgart, an den ein Repair-Café angeschlossen ist. »Dorthin kommen Leute, die einen Hackerspace sonst niemals betreten würden«, sagt Ini­tiator Dirk Winning. Die Hacker bekommen leuchtende Augen, wenn sie Dinge mit elektrischen oder mechanischen Defekten in den Händen halten. Eine Studie des britischen »Centre for Sustainable Design« von 2014 hat Repair-Cafés und Hackerspaces vergleichend untersucht: Beide werden als basisdemokratische Orte gesehen, aber meist würden sie von außen als wenig offen wahrgenommen – als geschlossene Gesellschaft. Die Reparaturquote liegt im Shackspace bei 60 Prozent. Im Schnitt erhalten die rund fünf Reparateure pro Termin 20 Gegenstände von 20 Besuchern. Die Reparaturquote schwankt in den Repair-Cafés generell zwischen 50 und 80 Prozent.

Der Wunsch nach Unabhängigkeit
Andrea Baier unterstreicht die Idee von der Subsistenzkultur. Es geht ums Selbermachen, den sorgsamen Umgang mit Ressourcen, um Praktiken der Wiederaneignung der eigenen kollektiven Reproduktion, um das Schaffen von Beziehungen. Die Soziologin betont: »All das scheint angesichts ökologischer Katastrophen, ökonomischer Unwägbarkeiten und wachsender Individualisierung dringend, um gesellschaftliche Resilienz zu erreichen.« Weil der Subsistenzlogik eine Kooperationslogik zugrunde liege, gehe es nicht darum, Wissen zu monopolisieren, sondern es zu teilen.
Die Reparatur-Initiative »iFixit« aus den USA schreibt in ihrem Manifest: »Wenn du es nicht reparieren kannst, gehört es dir nicht.« Das findet auch Axel Ganz vom Düsseldorfer »Garage-Lab«, das alle zwei Monate stattfindet und eine Reparatur-Quote von 65 Prozent aufweist, bei rund 70 Besuchern und 90 Gegenständen. Die Garage ist Teil der internationalen »FabLab«-Bewegung, die auf dem US-amerikanischen Professor Neil Gershenfeld gründet. 1998 veranstaltete dieser einen Kurs mit dem Titel »Wie sich so gut wie alles herstellen lässt«. Er wollte herausfinden, mit welchen Maschinen und Werkzeugen man die größte Bandbreite an Werkstoffen auf möglichst vielfältige Art bearbeiten kann. Wenn Ersatzteile fehlen, teuer oder schwer zu bekommen sind, schlägt die Stunde des 3-D-Drucks. Axel Ganz erklärt dazu: »Geht es um die Schlauchführung der Kaffeemaschine, dann können wir sie drucken und so industrieunabhängig reparieren.« Zur Ausstattung gehören zudem Laserschneide- und Gravurmaschinen, CNC-Fräsen und Lötvorrichtungen – aber fördert dieser Umgang mit Hightech nicht den Rebound-Effekt? Für Reparaturen sind zum Teil hochmoderne Werkzeuge notwendig. Linn Quante meint dazu: »3-D-Drucker sind eine Ausnahme. Für die Reparatur von Wasserkocher oder Staubsauger reichen oft schon Schraubenzieher und Lötkolben. Zudem hat fast jeder Werkzeug, das er mitbringt – oder es wird gespendet.« Extra angeschafft würden Werkzeuge nur selten, wenn genügend Spenden da seien.

Leben in Zeiten des Übergangs
Welche Entfaltungskraft das Selbermachen haben kann, zeigen Repair-Cafés wie die in Freiburg und Bielefeld. Dort sind sie als Transition-Town-Projekte entstanden, um Visionen und Alternativen »für ein besseres Leben in der Zeit des Übergangs« in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft zu entwickeln. In Freiburg war die Strahlkraft so groß, dass gleich noch ein Näh-Café und ein Holz-Café ins Leben gerufen wurden. Damit überall in der Stadt repariert werden konnte, wurde der »Repair-Carl« erfunden: eine Miniatur-Werkstatt auf vier Rädern. In Bielefeld kam eine Werkzeugbibliothek zustande: Wer Werkzeuge zu verleihen hat, stellt sie hier online. Es gründeten sich noch die Rad-Retter, und mittlerweile wird gemeinsam Sauerkraut eingemacht und Butter gestampft.
Eine Könnens-Gesellschaft wünscht sich die Hamburger Philosophin und Ökonomin Christine Ax. Sie befasst sich mit lokaler Ökonomie, Handwerk und Degrowth und sagt: »Eine Gesellschaft ist immer nur so reich wie das Können, die Erfahrung und das Wissen, das sie an die nächste Generation weitergibt.« Ax kritisiert, dass praktische Fähigkeiten nur noch selten auf dem Stundenplan stehen. Echtes Können und wahre Könnerschaft seien immer das Ergebnis praktischer Übung: »Wer übt, lernt aus Fehlern. Wer gelernt hat, aus Fehlern zu lernen, lernt, weniger schnell aufzugeben – und sich aus Abhängigkeiten zu befreien.«
2014 fand das erste bundesweite Vernetzungsreffen der Reparatur-Initiativen statt. Dort wurden Fragen diskutiert wie: »Wer übernimmt die Haftung für ein Gerät, das man nicht mehr hinbekommt?« Es gibt für Repair-Cafés unter anderem die Möglichkeit, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen; gleichzeitig rät Linn Quante, die Reparatur für ein Gerät, das einem nicht gehört, abzulehnen, wenn man unsicher ist, ob man sie bewältigen kann. Eine andere häufig gestellte Frage ist: »Wie können wir uns besser finanzieren?« Immer wieder wurde kritisiert, dass die Cafés als kostenlose Service-Werkstatt missbraucht und 1-Cent-Stücke ins Spendendöschen gesteckt werden. Die Initiatoren der Kölner Dingfabrik berichten von Menschen, die mit kaputten Dingen Schlange standen und forderten, dass ihr Gerät garantiert repariert würde. Inzwischen heißt es in der Dingfabrik: Erstmal selbst aufschrauben und probieren!
Die Repair-Cafés bringen viel in Bewegung. Ob sie auch dazu führen, dass ihre Teilnehmer tatsächlich einen niedrigeren ökologischen Fußabdruck haben? Buchautorin Andrea Baier ist sich da noch nicht so sicher. »Aber wer weiß? Wer beschädigte Dinge reparieren kann, entwickelt ein anderes Verhältnis zu ihnen.« •


Isabella Hafner (31) freie Journalistin, arbeitete als Redakteurin bei der Südwest-Presse und studierte »Journalismus und Nachhaltigkeit« an der Leuphana Universität Lüneburg.


Repair-Cafés finden und über Könnerschaft lesen
www.reparatur-initiativen.de
www.anstiftung.de
 Literatur

• Christine Ax: Die Könnensgesellschaft: Mit guter Arbeit aus der Krise. Rhombos, 2009
• Andrea Baier, Christa Müller: Stadt der Commonisten. transcript, 2013
• Wolfgang M. Heckl: Die Kultur der Reparatur. Hanser, 2013

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