Titelthema

Das Sonnenhaus

Warum in einem neugebauten Bauernhaus in Graubünden so gut wie nie der Ofen geheizt werden muss.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #36/2016
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© www.atelierwernerschmidt.ch

Seine ersten selbstkonstruierten Wohngebäude in den 1980er Jahren packte Werner Schmidt in Steinwolle ein. Aber es gefiel ihm nicht, dass zwischen 300 und 800 Kilowattstunden Energie nötig sind, um einen Kubikmeter Mineralwolle herzustellen, und dass das Zeug bei der Entsorgung als Sondermüll gilt. Als er über einen austra­lischen Kollegen auf den Baustoff Stroh aufmerksam wurde, fand er seine wichtigsten Fragen an die Architektur beantwortet: Ein kubikmetergroßer Strohballen entsteht unter Einsatz von nur 12 bis 15 Kilowattstunden Energie – er bietet die perfekte Isolation und kann nach Abriss des Hauses auf den Kompost.

Heute hat Werner Schmidt das Ziel, Häuser zu bauen, die nicht nur in Bezug auf die Heizung, sondern auch auf sonstige Haustechnik möglichst autark sind. Am nächsten ist er diesem Ideal beim Neubau eines Bauernhauses in Graubünden gekommen.
Vor fünf Jahren sollte der Ökohof der Familie Gliott, die Galloway-Rinder züchtet, aus dem Zentrum des Bergdorfs Laax an den Ortsrand umsiedeln. Die Bauersfamilie wünschte sich Stroh als Baumaterial für ihr neues Wohnhaus, das recht groß werden sollte: Neben einer Betriebsleiterwohnung für sie selbst sollten Zimmer für den Lehrling und einen weiteren Mitarbeiter inte­griert sein, außerdem eine kleinere Alterswohnung. Glücklicherweise lag der Bauplatz an einem Südhang. Werner Schmidt plante die Südseite als Glasfassade und die restlichen Wände als teillast­tragende Strohkonstruktion. Diese massiven Wände bestehen aus 1,20 Meter ­dicken Strohballen mit einer Länge von 2,40 Metern und einer Höhe von 70 Zentimetern. Die Fenster und Türen kommen in sogenannte Holzkisten, die bis zum Boden reichen und einen Teil der Dachlast übernehmen. Im Wesentlichen trägt jedoch das Stroh selbst. Zwischengeschoß und Dachboden bestehen aus selbst­tragenden Holzplatten, deren Gewicht über eine Art Ringanker – ein Kranz aus Holzbohlen, der auf der Strohwand liegt – nach unten geleitet wird. »Jeder Ballen wird durch den Druck länger, dadurch werden die Fugen stark zusammengepresst, das Ganze wird kompakter, und der Verputz hält besser«, erklärt Werner Schmidt. Es sei wichtig, einzuberechnen, wie weit das Stroh über den Holzkisten zusammensinkt, wenn das Dach auf die Konstruktion gesetzt wird.
Scheint auf das Laaxer Strohhaus heute die Sonne, absorbieren ein Steinboden und Lehmwände im Inneren ihre Wärme, und die 1,20 Meter dicken Außenwände lassen sie nicht wieder heraus. Vier bis fünf Tage hält sich die Temperatur bei bedecktem Himmel und kaltem Wetter, auch im Winter. Erst dann müssen im Zweifelsfall die beiden Specksteinöfen geheizt werden. Aber das kommt höchst selten vor. »Ich brauche im Sommer mehr Holz zum Grillen als im Winter zum Heizen«, freut sich Bauer Gliott.
Würden solche Konstruktionen auch in weniger sonnenreichen Gegenden funktionieren? »Ja – zum Beispiel mit Hilfe eines großen Wasserspeichers, der zwei Monate lang die Wärme speichern kann«, meint Werner Schmidt.
Der Hof der Gliotts liegt auch deshalb in einer idealen Umgebung, weil es weiter oben am Hang eine Trinkwasserquelle gibt. Aber mit einer Regenwasserzisterne und einem Filter sei eine ­autarke Trinkwasserversorgung im Prinzip überall möglich, erklärt Schmidt. Autarke Abwasserlösungen sind bereits heute Stand der Technik; mit etwas Gefälle lassen sie sich auch ohne Strom betreiben. Warmwasser wird auf dem Galloway-Hof Laax ebenfalls mit Hilfe von Sonnenwärme hergestellt: An der Terrasse lehnen Sonnenkollektoren. Die benötigte Kühle liefert ein Erdkeller.
Bei Werner Schmidts letztem Besuch klagten die Gliotts über ein einziges Problem: Sie müssen Brennholz aus ihrem Wald verschenken, denn sie wissen nicht mehr, wohin damit. • 


Autarke Häuser aus Holz, Halm und Erde
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