Gesundheit

Fließende Bewegung

von Thomas Huber, erschienen in Ausgabe #5/2010
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Es war ein besonderes Jahr. Meine Frau war mit unserem Sohn im dritten Monat schwanger, und alles lief super. Da wurde unsere Idylle jäh gestört. Bei mir wurde Leukämie festgestellt. Die Erkrankung war so akut, dass ich noch am selben Tag im Februar 1997 in der Uniklinik Regensburg mit der ersten Chemotherapie behandelt wurde.
Die Therapie brachte nicht den gewünschten Erfolg, und so war die einzige Chance auf Heilung, einen geeigneten Knochenmark-Spender zu finden. Nach langem Warten, Rückschlägen und etlichen Chemos und Bestrahlungen war es dann im November 1997 so weit, dass die Transplantation im Uniklinikum Großhadern in München vorgenommen werden konnte.
Anfänglich empfand ich meine Erkrankung nicht als so schlimm. Ich gab nach außen zu erkennen, was für ein lebenslustiger Mensch ich doch sei und dass mir der Tod nichts bedeute, da es ja jetzt eh nichts mehr zu ändern gebe. Eigentlich war mir alles egal. Die Ärzte würden es schon machen. Ich erkannte nicht, dass dieses Gefühl nur eine Mauer war, die ich um mich herum errichtet hatte.
In der Uniklinik in Regensburg hatte ich Kontakt zu einem sehr guten Psychologen. Ich muss sagen, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts von Psychologen hielt. Ich dachte mir: »Na ja, der kann ja mal kommen, ich hab sowieso nichts Besseres zu tun.« Nach unserem ersten Gespräch war meine Meinung bestätigt: »Alles Quatsch, was der erzählt«.

Nichts mehr verdrängen
In den Tagen darauf begann ich über das Gesagte nachzudenken, über mich, meine Familie und die Leukämie. Als ­Josef, der Psychologe, wieder bei mir hereinschaute, freute ich mich. Einmal fragte er mich, ob ich Angst vor dem Sterben hätte. Ich antwortete etwa Folgendes:
»Vor dem Sterben habe ich keine Angst, nur vor dem, was aus meiner Frau, dem Kind und meinen Angehörigen wird.«
Da kam von seiner Seite eine Reaktion, mir der ich nicht gerechnet hatte. Josef schaute mich erst an und erwiderte scharf:
»Was bildest du dir eigentlich ein? Was denkst denn du, was Angst vor dem Sterben ist!?«
Heute habe ich ich erkannt, dass etwas anzunehmen nicht heißen muss, sich machtlos hinzugeben. Egal, auf welche Situation ich im Leben stoße – ich kann meine Ziele weiter verfolgen oder neue Ziele ins Auge fassen. Ich kann selbst wählen, was ich genau in diesem Moment für das Richtige halte.
Auch meine Frau hatte Gespräche mit dem Psychologen, und so schaffte ich es, die Leukämie als Erkrankung anzunehmen, und wir konnten unsere Beziehung auf eine ehrliche, offene Basis stellen. Ich konnte von diesem Moment an aus meiner heimlichen Angst um mich und meine Familie ausbrechen. Die Mauern um mich stürzten zu einem großen Teil ein, und in mir erwachte der Wille, wirklich gesund werden zu wollen.
Anfangs arbeiteten wir mit Hypnose. Das hat mir sehr geholfen. Nach der Transplantation war ich dazu nicht mehr in der Lage. Mein Sohn war schon geboren, und ich lag isoliert auf der Transplantationsstation, abgeschottet von der Außenwelt. Meine Energie ging gegen Null. Während jener Zeit, in der ich ein tiefes Tal zu durchschreiten hatte, kam ein Impuls in mein Leben, der alles veränderte.

Absichtsloses Tun
Ein guter Freund, denn ich Jahre schon nicht mehr gesehen hatte, besuchte mich nahezu täglich in der Klinik. Franco war in dieser Zeit ein Lichtblick. Oft war ich zu schwach für Gespräche oder Spiele, aber das war Franco egal. Er war einfach da. Dafür musste er einiges auf sich nehmen: Meine Besucher mussten durch zwei Schleusen. In der ersten musste man sich bis auf die Unterhose entkleiden, OP-Kleidung anziehen, und in der zweiten Schleuse, direkt vor meinem Zimmer, auch noch Haube, Mundschutz und Handschuhe anziehen. Franco praktizierte schon damals intensiv Taijiquan, und wenn ich mal wieder zu schwach zum Sprechen war, hielt er kurz inne und begann, sich langsam und fließend zu bewegen. Die Bewegungen erzeugten einen Gleichklang mit mir und der Umgebung, so dass ich mich getragen fühlte. Franco versuchte nicht, mich aufzuheitern. Er machte das Taiji nicht, um mir etwas zu zeigen. Sein Tun hatte eine Ausstrahlung, die mich berührte. Es war absichtslos.
Anfang 1999 begann ich, Taiji zu üben. Die ruhige, entspannte Art der Bewegungen war mir in meinem immer noch entkräfteten Zustand schon möglich. Jetzt praktiziere ich es immer noch, und ich bin fest davon überzeugt, dass es mir sehr geholfen hat.
Mittlerweile bin ich in Pension, da ich nach der Therapie für meine Tätigkeit im Büro nicht mehr regelmäßig genügend Konzen­tration aufbringen konnte. Ich konnte mich aber sehr gut mit meinen Einschränkungen arrangieren und folge jetzt meinem eigenen Rhythmus. Durch meinen Taiji- und Qigong-Unterricht kann ich mir noch etwas dazuverdienen, und ich darf durch die ehrenamtliche Arbeit, die ich unter anderem für das Taijiquan & Qigong Netzwerk leiste, unserer Gesellschaft für ihre Solidarität wieder einen Teil zurückgeben.

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