Titelthema

Bodenaufbau verlangt keine große Investition

Anlässlich eines Vortrags bei der Zukunftsstiftung Landwirtschaft in Berlin sprach Svenja Nette mit Timothy LaSalle, dem ­Experten für regenerativen Ackerbau.von Svenja Nette, Timothy LaSalle, erschienen in Ausgabe #35/2015
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Timothy, du bist das erste Mal in Deutschland – derzeit mit der Mission, so vielen Menschen wie möglich klarzumachen, dass unsere landwirtschaftlichen Böden sehr viel CO2 aufnehmen könnten, würden wir sie nur richtig aufbauen. Was treibt dich an?

In jungen Jahren war ich konventioneller Milchviehhalter, und meine Mission geht wohl auf diese Zeit zurück. Später wurde ich Professor für Milchviehwirtschaft an der »California Polytechnic State University«, und aus meiner Lehrtätigkeit ergaben sich viele Reisen, die mir über die kommenden Jahrzehnte zeigen sollten, dass unsere konventionelle Art, Landwirtschaft zu betreiben, einen für unsere Zukunft destruktiven Kern beinhaltet. Diese Einsicht hat mich tief erschüttert und herausgefordert, da eine Lösung nicht im Rahmen des Denksystems, in dem ich aufgewachsen bin, gefunden werden kann. Seitdem hat mich die Frage verfolgt, wie wir Lebensmittel produzieren können, ohne dabei im selben Atemzug die Erde zu zerstören. Sie hat mich durch viele Tätigkeiten und Forschungen begleitet, zuletzt als Direktor des Rodale-Instituts, das seit Jahrzehnten die ökologische Landwirtschaft erforscht und fördert. In den letzten vier Jahren habe ich eine Reise durch Afrika zum Thema Bodenaufbau unternommen.

Was wurde zum Kern deiner Arbeit, nachdem du aus Afrika zurückgekehrt bist?

Seit einem Jahr bin ich aus persönlichem Antrieb zum Thema Bodenaufbau unterwegs, versuche zu beraten und aufzuklären. Es gibt eine große Chance – vielleicht ist es die einzige –, dem Klimawandel entgegenzuwirken, indem wir das jetzt überschüssige CO2 aus der ­Atmosphäre in unsere landwirtschaftlichen Böden verlagern. Am Rodale-Institut haben wir schon 2008 eine Veröffentlichung herausgebracht, die sehr klar gezeigt hat, welch immensen Einfluss ein intelligenter Bodenaufbau auf die Kohlenstoffspeicherkapazität der Äcker haben kann. Mir wurde damals bewusst, dass wir in der Klimakrise etwas drastisch Wirksames tun müssen und dass ein guter Umgang mit dem Boden eine der wenigen Optionen ist, die sowohl massiv CO2 bindet als auch weitere Emissionen verhindert.

Das Hauptwerkzeug einer kohlenstoffbindenden Landwirtschaft ist die pfluglose ­Bodenbearbeitung, weil sie den Humusaufbau fördert und die Emissionen der Bodenbearbeitung vermeidet. Häufig hört man, dass diese Technik aufgrund des Unkrautdrucks nur in Kombination mit Herbiziden wirtschaftlich durchführbar sei. Kann die ökologische Landwirtschaft sich eine pfluglose Bodenbearbeitung überhaupt leisten?

In der ökologischen Landwirtschaft wird die pfluglose Bodenbearbeitung leider nicht sehr weit vorangetrieben. Die Meinung, dass ungewünschtem Bewuchs des Felds nur mit maschineller Bearbeitung begegnet werden kann, ist weit verbreitet. Mir ist in verschiedenen afrikanischen Ländern die Vielschichtigkeit der Möglichkeiten klar geworden, pfluglos und zugleich ökologisch zu arbeiten. Es ist einiges an manueller Arbeit erforderlich, um einen Acker oder Garten an einen Punkt zu bekommen, an dem das Unkraut durch die Art des Anbaus sozusagen von selbst unterdrückt wird. Dazu gehört zum Beispiel die Kombination aus passender Fruchtfolge und Mulchschicht. Wichtig sind Unter- oder Zwischenpflanzungen. In Ghana werden zum Beispiel Juckbohnen als solche verwendet – sie nehmen den Unkräutern das Licht. Solch ein System hängt von vielen Faktoren ab und erfordert selbstverständlich viel mehr Wissen und Erfahrung als herkömmliche Systeme. Um es erfolgreich zu etablieren, muss man komplexe Interaktionen in Gang setzen. Das ist sozusagen der heilige Gral: pfluglose, ökologische Bodenbearbeitung.

Warum wird nicht mehr in diese Richtung geforscht und gefördert, wenn sie doch so vielversprechend ist?

Leider ist das Konzept der pfluglosen Boden­­bearbeitung stark von Agrochemie­firmen wie Monsanto oder Syngenta besetzt. Sie wollen uns glauben lassen, diese Methode sei nur mit ihren Chemikalien anwendbar. Immerhin, wer auf konventionelle Weise pfluglos wirtschaftet, kann jährlich etwa 300 Kilogramm Kohlenstoff pro Hektar im Boden binden. Betrachtet man allerdings einfache ökologische Praktiken, zum Beispiel drei feldübliche Kompostgaben in zehn Jahren, liegt man pro Jahr schon bei der mindestens dreifachen Menge, also etwa einer Tonne Kohlenstoff, die im Boden immobilisiert wird. Solche Praktiken, kombiniert mit geregelter Weidenutzung, führen zu immensen Kohlenstoffbindungsraten, die gerade erst in Studien erforscht werden. Ich werde häufig kritisiert, weil ich mich auf sehr optimistische Zahlen beziehe, aber ich glaube, wir brauchen sie, um ernsthaft diese große Chance zur Kohlenstoffbindung zu ergreifen.
Derzeit laufen die Vorverhandlungen zum UN-Klimagipfel in Paris. Für mich und viele andere ist es herzzerreißend, wenn wir feststellen, dass die Agrochemiegiganten alle Lobbytüren bereits abgeklappert haben und mit einem Konzept namens »Climate Smart Agriculture« in den CO2-Zertifikate-Handel einsteigen möchten – womit sie auch noch erfolgreich zu sein scheinen! Ich habe selbstverständlich auch den Gang durch die Institutionen angetreten, musste aber erfahren, dass alle Türen, an die ich geklopft habe, schon früher und leichter von Vertretern der Wirtschaft geöffnet wurden.

Siehst du in deiner langjährigen Forschungs- und Lehrpraxis problematische Verquickungen von Wirtschaftsmacht und Wissenschaft?

Selbstverständlich. Die Leute an den Universitäten müssen häufig ihre Gelder selbst einwerben, und wer verfügt über solche Mittel? Ein Naturliebhaber? Oder eine Firma, die von der Forschung womöglich profitiert? Die Gelder für unsere Agrarwissenschaft kommen zum Großteil direkt oder indirekt von Unternehmen, die an der Landwirtschaft verdienen. Unsere heutige Landwirtschaft unterdrückt die Biologie, deshalb musst du als Landwirtin oder Landwirt immer mehr Agrochemie in dein System einbringen, damit du gleichbleibende Erträge ernten kannst, während der Kohlenstoffgehalt in deinem Feld schwindet. Diese Art der Landwirtschaft wirkt abbauend – es wäre aber auch ein aufbauendes, regeneratives Wirtschaften möglich. Je mehr Kohlenstoff der Boden aufnimmt, desto mehr Organismen bauen sich auf und stabilisieren das System.

An gesunden, ertragreichen Böden müssten doch selbst konventionelle Landwirte interessiert sein. Warum ist dies kein generelles Ziel der Landwirtschaft?

Womöglich liegt das daran, dass sich Böden beinahe ohne Einträge von außen aufbauen lassen. Das eine oder andere spezielle Saatgut müsste wohl angeschafft werden, aber generell verlangt Bodenaufbau keine großen Investitionen. Diejenigen, die Landwirte mit Düngemitteln, Pestiziden und Technik beliefern, könnten somit kaum noch Profite abschöpfen. So arbeitet die Industrie, ob bewusst oder unbewusst, häufig gegen solche Ideen der relativ geschlossenen, selbstaufbauenden Systeme, weil sich eben ihren Betreibern schlecht etwas verkaufen lässt. Je mehr Biodiversität sich in deinem Ökosystem entfaltet, umso mehr Nützlinge siedeln sich an, die Fruchtbarkeit steigt, die gesündere Erde puffert die Auswirkungen von Krankheiten und Nematoden ab. Je mehr du solche selbstverstärkenden Effekte aufbaust, desto weniger bist du vom Kauf von Produkten abhängig. Wer die Kohlenstoffwerte im Boden durch die richtigen Praktiken anhebt, stabilisiert das System in einen für die Landwirtschaft idealen Zustand. Dieser Prozess ist freilich verkaufsschädigend.

Auf deinen Vorträgen wirst du sicherlich häufig mit der umstrittenen Frage des Emissionshandels konfrontiert. Dessen Vertreter betonen die positiven Auswirkungen des Handels mit CO2-Zertifikaten auf Landwirte. Wie stehst du zu diesem Thema?

Ich bin in einem Flugzeug hierher geflogen und habe somit Kohlenstoff in die Atmosphäre geblasen. Da denke ich mir, dass es prinzipiell sinnvoll ist, einer Landwirtin oder einem Landwirt Geld dafür zu geben, dass sie oder er dieses überschüssige CO2 wieder in den Boden bringt. Was mich am Emissionshandel besorgt, ist der vorhersehbare Einfall von Investoren und Spekulanten – und damit verbunden die Frage, wieviel Geld dann noch bei den Landwirten, gerade im globalen Süden, übrigbliebe. Aber nur weil es schwierig erscheint, sollten wir diese Herausforderung nicht unangetastet lassen, sondern gesamtgesellschaftlich Methoden entwickeln, die es Landwirten auch wirtschaftlich sehr viel einfacher machen, sich kohlenstoffspeichernd zu verhalten. Ich wäre dafür, sie direkt zu unterstützen – ohne Umwege durch verschiedene Märkte und Institutionen.

Welche innere Haltung müssten wir deiner Meinung nach kultivieren, um auf allen Feldern Mensch und Natur zu unterstützen – sei es in der Ökonomie, in der Landwirtschaft oder in der Wissenschaft?

Ich sehe da hauptsächlich zwei Pole – die demütige und die dominierende Haltung den natürlichen Systemen gegenüber. Letztere sieht im Extremfall alles zum Erkunden, Nutzen und vielleicht Zerstören vor uns ausgelegt. Die demütige Haltung vertritt eine respektvolle Einstellung der Erde gegenüber; sie glaubt an das Lebendige – dass es größer ist, als unsere Egos es je verstehen könnten. Die Herausforderung an die Forschung, aber auch an alle anderen, lautet also: Wie bleiben wir wissenschaftlich und im gleichen Atemzug demütig der Natur und ihren Abläufen gegenüber?

Siehst du eine Vereinbarkeit zwischen den heute dominanten Wirtschaftsweisen und den Zielen, die du verfolgst?

Unser kapitalistisches Wirtschaftsmodell steht generell im Konflikt mit der Idee, ­eigene Bedürfnisse mit eigenen Mitteln zu decken. An diesem Punkt bin ich ratlos. Wie gehen wir damit um? Angesichts des Klimawandels müssen wir uns radikale Fragen stellen: Ist das Ziel der Gesellschaften wirklich der wachsende Profit der Unternehmen, oder geht es uns unterm Strich um gutes Leben und Überleben? Wir haben keine Zeit, uns allzu lang mit der Suche nach Antworten zu beschäftigen, wir brauchen sehr bald drastische Veränderungen in unseren Versorgungssystemen, in den Anbausystemen und im Konsumverhalten, die sich auf die Arbeitsweise des Handels und der Produzenten übertragen. Wenn die Menschen Lebensmittel verlangen und bezahlen, die nicht nur ökologisch produziert wurden, sondern deren Anbau sich regenerativ auf Ökosysteme auswirkt, bedeutete das die Internalisierung der Kosten der jetzigen landwirtschaftlichen Auswirkungen: etwa der Zerstörung von Gewässern und Atmosphäre, des Kohlenstoffabbaus im Boden oder des massiven Rückgangs der biologischen Vielfalt. All das müsste in der Lebensmittelproduktion vermieden werden. Wirtschaftliche Investitionen wären dann sozusagen gleichbedeutend mit Investitio­nen in unsere Ökosysteme. So kann ein Wirtschaftssystem meiner Meinung nach regenerativ wirken und funktionieren.

Vielen Dank, Timothy, für das Gespräch!


Timothy LaSalle (67), USA, gab seine Pro­fessorenstelle auf, um sich in diversen Organisationen für Ökolandbau, Rekultivierung und Ernährungssouveränität einzusetzen.

Svenja Nette (29), studierte Qualitative ­Forschung im Bereich Landwirtschaft und
Umwelt. Sie lebt seit 2011 in Berlin, wo sie in den ­»Prinzessinnengärten« aktiv ist.


Studien über bodenaufbauende Landwirtschaft
www.rodaleinstitute.org

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