Buchtipps

Archäologie und Macht (Buchbesprechung)

von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #17/2012
Photo

Von George Orwell stammt die griffige Formel: »Wer die Vergangenheit beherrscht, kontrolliert die Zukunft. Und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.« So mag sich erklären, warum seit langer Zeit ein heftiger Streit darüber entbrannt ist, ob wir Menschen uns schon in grauer Vorzeit nach Klassen und Geschlechtern unterdrückten, ob wir uns immer schon bekriegten, auf der Suche nach persönlichem Vorteil immer schon den Planeten zerstörten, immer schon den einen, einzig wahren Vatergott verehrten – oder ob es vielleicht schon einmal ganz anders gewesen ist und die erwähnten Dinge mithin nicht unbedingt untrennbar zum Menschsein gehören. In den letzten hundert Jahren haben Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen zahllose Hinweise dafür gefunden, dass beispielsweise unsere Vorfahren in der Altsteinzeit so etwas wie geplante massenhafte Gewalt (= Krieg) nicht kannten. Und vieles spricht dafür, dass die von Ethnologen noch heute bei verschiedenen Völkern entdeckte Gewohnheit, Frauen, Kinder und Beziehungspflege in den kulturellen Mittelpunkt zu stellen (Matrifokalität) und ansonsten herrschaftsfrei (egalitär) und friedliebend zu leben, bis in die Jungsteinzeit hinein offenbar die globale Normalität gewesen ist. Doch gibt es da auch noch das andere Lager jener Wissenschaft, das sich der heutigen, patriarchalen Normalität verpflichtet fühlt – und dieses patriarchale System erkennt in dem sich abzeichnenden neuen, revolutionären Bild von der Vergangenheit eine echte Bedrohung der eigenen Definitionsmacht. Dieser Seite liegt viel dar­an, Herrschaft und Ausbeutung weiterhin als etwas quasi Naturgegebenes zu legitimieren, und so wird der Kampf um die (früh-)geschichtliche Deutungshoheit von ihr auch durchaus mit harten Bandagen geführt. Als Antwort auf derartige Versuche, bereits für die frühe Geschichte des Menschen patriarchale Verhältnisse zu postulieren, veröffentlichte Gabriele Uhlmann nun ihr sehr engagiert geschriebenes Buch »Archäologie und Macht«. Darin nimmt sie mit viel Sachverstand die anthropologisch-archäologischen Indizien etwa zur Interpretation der altsteinzeitlichen Urmutter-Darstellungen oder des jungsteinzeitlichen »Massakers von Thalheim«  unter die Lupe.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Lektüre an vielen Stellen eine gehörige Bereitschaft, sich »einzudenken«, erfordert. Aber die ebenso wichtige wie interessante Thematik lohnt doch allemal die vertiefte Beschäftigung.


Archäologie und Macht
Zur Instrumentalisierung der Ur- und Frühgeschichte.
Gabriele Uhlmann
Books on Demand, 2012
216 Seiten
ISBN 978-3844814200
14,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #17

Photo
Permakulturvon Judit Bartel

Permakultur im Netz der Netzwerke

Die zweijährlich stattfindende Zusammenkunft der ­europäischen Permakulturszene wurde bewusst für themenverwandte Szenen geöffnet, die sich oft vor ähnlichen Herausforderungen sehen.

Gerechtigkeit & Friedenvon Christian Jakob

Die zwei Seiten des Mittelmeers

 Lange hatten sie debattiert, was sie tun würden, wenn der Kapitän die Küstenwache riefe. Würde er eine Demonstration gegen das europäische Grenzregime, an Bord einer Fähre zwischen Sizilien und Tunesien, mitten im Einsatzgebiet der EU-Grenzschutz­agentur

Photo
von Veronika Bennholdt-Thomsen

Schulden (Buchbesprechung)

Graebers Thema ist die Schuldenmoral, also der moralische Imperativ hinter den Schulden. Ausgelöst wird sein Forschungsinteresse von der gegenwärtigen Finanzkrise und der unerträglichen Last, die die Kreditschulden den kleinen Leuten überall auf der Welt, sowie den

Ausgabe #17
Gewalt

Cover OYA-Ausgabe 17
Neuigkeiten aus der Redaktion