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Der letzte Mohikaner (Buchbesprechung)

von Sylvia Buttler, erschienen in Ausgabe #22/2013
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Es gibt ein paar literarische Figuren, deren Nennung seit meiner Jugend in meinem Kopf sofort ganze Welten entstehen lassen. Zwei davon sind Chingachgook und Unkas, Figuren aus dem Roman »Der letzte Mohikaner« von James F. Cooper, der nun in Karen Lauers Neuübersetzung erstmals vollständig und ungekürzt auf Deutsch vorliegt.
Der Roman spielt an wenigen Tagen des Jahrs 1757 und thematisiert den Krieg der Franzosen und Engländer um die koloniale Vorherrschaft in Nordamerika. Beide Nationen haben Verbündete aus der indigenen Bevölkerung auf ihrer Seite, im Fall der Engländer handelt es sich um die fiktiven »Mohikaner« und die Delawaren. Diese ziehen los, um die entführten Töchter des Obersten Munro zu befreien, die sich in den Händen des Häuptlings Magua befinden.
Interessant sind aus heutiger Sicht vor allem zwei Aspekte: zum einen die erstmals zu entdeckende Sprache Coopers, der sich in langsamen, weitschweifigen Landschafts- und Tierbeschreibungen ergeht, um kurz darauf brutalste Kampfhandlungen folgen zu lassen. Auch seine Dialoge, in denen die Figuren ihre Sicht auf den Wilden Westen schildern, offenbaren den Zeitgeist. Sein Held Falkenauge, ein Trapper, der nicht müde wird, zu versichern, dass er »reinen Blutes« sei, wirkt heute durchaus rassistisch. Andererseits ist er ein wahrer Freund seiner indigenen Gefährten und übernimmt ihre Sitten und Strategien voller Hochachtung. Coopers Leistung liegt vor allem in der realistischen, vielschichtigen Darstellung des Kulturkampfs der neuen gegen die alte Welt, die in dieser Form einzigartig ist. Die »zivilisierten Weißen« sind die Zerstörer der Welt, die sie vorfinden, die »Indianer« sind nicht nur edel und naturverbunden, sondern auch verschlagen und grausamen Riten verpflichtet. Auf der Handlungsebene allerdings beugt sich Cooper den Moralvorstellungen seines Publikums und wahrt die Rassentrennung: Die entführte Cora wird von dem »teuflischen« Häuptling Magua nicht angerührt, und ihre Schwester Alice heiratet am Ende einen britischen Offizier.
Cooper war gleichermaßen Kritiker der amerikanischen Gesellschaft und Nutznießer ihrer Siedlungspolitik, quasi ein früher Gentrifizierer. Er war einer der ersten Historiker der jungen Nation, ein Autor, der von Goethe und Balzac geschätzt wurde und Autoren wie Herman Melville inspirierte. Hoffentlich nimmt sich der Verlag weiterer Werke Coopers an. Da gäbe es noch viel zu entdecken.


Der letzte Mohikaner
James Fenimore Cooper
Hanser, 2013
656 Seiten
ISBN 978-3446241350
34,90 Euro

Weiterlesen: J. F. Cooper: Littlepage-Trilogie • Stephen Crane: Die rote Tapferkeitsauszeichnung • Charles Sealsfield: Tokeah

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