Titelthema

Der Umrührer

Dieter Halbach porträtiert den Bewegungs-Koch Wam Kat.von Dieter Halbach, erschienen in Ausgabe #29/2014
Photo
© Ines Lindenau

Es ist vollkommen still hier. Das Haus von Wam Kat liegt allein mitten im Wald. Wam ist nicht da. Nur die im Hof herumstehenden riesigen Kocher und Töpfe deuten auf den Revolutionär mit dem Kochlöffel hin. Seit über 30 Jahren versorgt seine Großküche alternative Veranstaltungen und Demos kostenlos mit vegetarischer Biokost.

Dann taucht Wam mit seiner Partnerin Ramona plötzlich auf. Alles gerät in Bewegung – der Anhänger hatte noch neue Reifen gebraucht, heute muss noch eingeladen werden, morgen geht es Richtung Aachen zu den katholischen Landfrauen. Gerade sah Wam noch müde und abgekämpft aus, jetzt leuchten seine Augen, und seine holländischen Holzpantinen wippen im Takt: Wir sprechen über seine Leidenschaft, mit Essen die Welt zu verändern.
Aufwachsen ist er im Holland der 1960er Jahre. Seine Eltern, der Vater ein junger Bildhauer, hatten schon Ende der 50er eine Kommune mit 80 Künstlerinnen und Künstlern gegründet. Die für Wam so typische Mischung von individueller Eigenart und gelebter Gemeinschaft hat er mit der Muttermilch aufgesogen. Da in anarchischen Verhältnissen – und insbesondere unter Künstlern – auch mal das Notwendigste, nämlich die tägliche Nahrung, ausfällt, wurde die einzige Familie mit einer gut funktionierenden Küche bald zum Zentrum der Gemeinschaft. Um ihren großen Holztisch kamen täglich bis zu 30 Gäste zusammen und brachten all ihre Geschichten und Nöte mit. Die Kernidee von Wams Kochaktionismus war gelegt: Die Küche als Herz der Gemeinschaft.
Wam wächst in das Holland der Jugendrevolte hinein: die »Provos«, deren schräge Aktionen Polizeigewalt ad absurdum führen, und die friedlich-ökorevolutionäre Graswurzelbewegung der »Kabouter« sind hier Vorreiter der europäischen Alternativbewegungen. Politischer Widerstand, ökologischer Lebensstil und spirituelle Suche sind eng miteinander verwoben, und über allem hängt schwer der süße Duft von Marihuana. Wam wird Vorsitzender der Jugendorganisation der pazifistisch-sozialistischen Partei, gibt die alternative Zeitung »Waterman« heraus und lebt mit 40 Ausgestiegenen auf »Hobbitstee«, einer der ersten Landkommunen. Bald werden die meisten zu Bhagwan-Jüngern. Wam möchte die Spaltung zwischen Politik und Leben überwinden und entdeckt einen Widerspruch: »Am 30. April 1972 fand in Amsterdam die erste große Anti-Vietnamkriegs-Demo statt. Ich war überrascht davon, wie viele Menschen mit Coca-Cola-Flaschen herumliefen; das erste McDonalds-Restaurant in Amsterdam war voll von Demonstranten.«
Wam ist fleischlos aufgewachsen. In seiner Studienzeit – Soziologie und Psychologie stehen auf dem Programm, aber die Uni umgeht er soweit möglich – arbeitet er zwei Jahre lang nachts in Fleischfabriken. Dort wächst seine Entscheidung, sich für eine ­vegetarische Ernährung einzusetzen. Später hilft er auf dem Greenpeace-Schiff »Rainbow Warrior« und erkennt in der Kombüse deren politische Dimension: Rien Achterbeen, der Koch, sagte ihm immer: »Die Küche ist das Wichtigste. Wenn wir nicht gut kochen, werden auch die Aktionen nichts.« Wam fühlt sich nicht nur den Landkommunen, sondern auch den ersten Biohöfen verbunden. Er ist dabei, als 1978 versucht wird, ein Ökolabel zu entwerfen, dessen ökologische und soziale Kriterien weit über alles hinausgehen, was heute an Qualitätssiegeln existiert.

Wer sich wehrt, steht auch am Herd
Mit fünf Freunden gründet Wam 1980 das legendäre Kollektiv »Rampenplan«. Die Idee dahinter ist ein »Katastrophenschutzplan«; zunächst bietet das Projekt die Möglichkeit, nach dem Studium nicht »normal arbeiten« gehen zu müssen, sondern auf Grundlage staatlicher Arbeitslosengelder als Kollektiv ein vegetarisches Restaurant, einen Buchladen und einen Bioladen zu betreiben. In dieser Zeit nimmt Wam als Vertreter des Kollektivs an einer Sitzung der Anti-Atombewegung teil. In zwei Wochen sollte das Atomkraftwerk Dodewaard mit 20 000 Menschen besetzt werden. »Die meisten in der Runde kamen aus der Hausbesetzerbewegung«, erzählt Wam. »Sie waren schwarz gekleidet und rauchten ›Schwarzer Krauser‹. Der Raum war voller Nebel, man sprach seinen Beitrag dort hinein, ohne sich zu sehen. Am Schluss war alles basisdemokratisch ausdiskutiert worden: Wer den freien Sender betreiben soll, wo die Lesben einen Bereich hatten, wo sie nicht von Männern belästigt werden könnten etc. Doch mir fiel auf, dass wir etwas Wichtiges vergessen hatten: das Essen. Höchstens ein paar Würstchenbuden der beteiligten politischen Parteien würde es geben. Da habe ich gesagt: ›Rampenplan macht das – Essen für alle, biologisch, vegetarisch und für eine Spende!‹« Wam wird für verrückt erklärt, und auch seine Kollegen von Rampenplan sind nicht gerade begeistert. Doch durch seine Kontakte zu Biohöfen im ganzen Land organisiert er genügend Gemüse, das er erst nach der Aktion bezahlen muss. Zur Not würde Rampenplan für die Schulden mit der kollektiveigenen Buttonmaschine bis in alle Ewigkeiten hinein »Atomkraft? Nein Danke!«-Anstecker produzieren.
Doch es wurde ein voller Erfolg: Die Menschen genossen das vegetarische Essen und spendeten, selbst wenn es mal angebrannt war. Oft bestand es aus nicht mehr als Wasser mit etwas Gemüse darin. Niemand wusste ja, wie so etwas funktionieren könnte, und nach den ersten Großversuchen dieser Art dachten alle im Kollektiv: »Das machen wir nie wieder!« Aber im Nachhinein wird jede Katastrophe, die sich gemeinsam meistern lässt, eine schöne Geschichte, und letztlich hatte das Kochen Spaß gemacht. Es beginnt eine intensive Zeit des lernenden Kochversuchs am lebenden Subjekt, vor allem auf den europaweiten Friedensmärschen. Über drei Monate hat Rampenplan dabei täglich 500 bis 5000 Menschen zu versorgen. Das Kollektiv beginnt inzwischen, seine Töpfe, Kocher und Solaranlagen selbst herzustellen.
»Ohne euch wäre unsere Aktion nichts geworden!«, hört Wam oft in jener Zeit. Manchmal lassen sich sogar schwierige Situationen mit Essen entspannen, indem etwas besonders Schönes aufgetischt wird. »Wenn die Stimmung angeheizt ist, und du brüllst ›Es gibt Essen!‹, dann rennt schon die Hälfte weg von der Konfrontation«, ist eine seiner Erfahrungen. Nur einmal hat er erleben müssen, dass über ihre Küche hinweg gekämpft wurde. Ansonsten wird auch von der Polizei der Küchenbereich als Friedenszone respek­tiert. Eher kommen die Sicherheitshüter mal vorbei und bekommen einen Kaffee. Oft müssen Polizeibeamte 24 Stunden durchmachen, nur mit einem Lunchpaket versehen. Das ist ein Kontrast: Die singenden, schnippelnden und mampfenden Demonstranten – und die uniformierte Tristesse muss hungrig zugucken. Da kommt von der Gegenseite durchaus die Frage: »Wie schafft ihr das in diesem Chaos?« Die Antwort ist: »Wir machen es freiwillig!«
Wam ist wie geschaffen dafür, sich als Ruhepol in die Mitte des Chaos zu stellen. Während in Jugoslawien der Krieg tobt, ist Wam mittendrin. Die von ihm mitgegründete Friedensinitiative »Balkan Sunflowers« hilft, Flüchtlingslager aufzubauen, Mediation zwischen verfeindeten Gruppen oder Infrastruktur zu organisieren. Er führt ein Online-Tagebuch, die »Zagreb Diaries«, und gehört damit zu den ersten Bloggern. Gekocht hat Wam dort natürlich auch.

Die »flammende Küche« in Aktion
Mittlerweile ist Wam mit seinem aktuellen Projekt, der »Fläming Kitchen«, mitten in der Gesellschaft angekommen. Der Film »Taste the Waste« von Valentin Thurn aus dem Jahr 2010 zeigte seine Initiative als Gegenmodell zur Wegwerfgesellschaft und wurde so für ihn zum Türöffner. Die Fläming Kitchen entsteht, als für die Versorgung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm in der Umgebung die ausreichenden Mengen an Biogemüse fehlen. Da wird Wam um Hilfe gebeten, und er findet die große Lagerhalle eines Biobauern mit nicht normgerechtem Gemüse, das als nicht vermarktbar galt.
Über 50 Prozent unserer Lebensmittel – auch in der Biobranche – werden weggeworfen. Die Energiewende fängt mit dem Essen an; das ist auch eine von Wams zentralen Botschaften. Wenn alles überflüssig gebackene Brot als Energieträger verbrannt würde, könne man zwei Atomkraftwerke schließen. Würde es gar nicht erst gebacken, könnten vier bis fünf Atomkraftwerke geschlossen werden, erklärt Wam und findet mehr und mehr offene Ohren. Auch die Politik hat das Thema für sich entdeckt. 2011 wird Wam vom Landwirtschaftsministerium zur »Grünen Woche« eingeladen, um vegan zu kochen. Als er nebenbei den Gästen erzählt, dass er die Haltbarkeitsdaten bei Lebensmitteln für Unsinn hält, untersagen ihm Beamte des Ministeriums, seine Botschaft zu verbreiten. Drei Monate später lanciert Ministerin Ilse Aigner die Aktion »Zu gut für die Tonne«, in der sie sich unter anderem auch gegen Haltbarkeitsdaten wendet. Im Rahmen dieser Kampagne ist Wam auch diesen Herbst mit dem Landwirtschaftsministerium unterwegs. Mit Schulklassen geht er zur Nachernte auf die Felder der Biobauern und kocht mit ihnen am nächsten Tag auf dem Marktplatz. Die Minister und Bürgermeister kommen dazu und finden alles besonders lecker – dabei ist das Geheimnis schlicht gutes Gemüse mit frischen Kräutern. Wenn inzwischen sogar eine Anfrage des Bischofs von Aachen kommt, kostet es Wam schon einige Überwindung – aber wenn er die Vernichtung von Essen thematisieren kann, ist er bereit, zu kommen. Noch nie hat eine Aktion von Wam eine so schnelle Wirkung gezeigt wie die Grüne Woche 2011. Sogar in Brüssel wird eine Gesetzesänderung diskutiert.
Bedeutet krummes Gemüse nicht mehr Arbeit? Auch dafür hat Wam ein Rezept. Als vor drei Jahren erstmals die Demo »Wir haben es satt!« in Berlin stattfand, sollten 8000 Mahlzeiten aus 3000 Kilogramm Wegwerfgemüse gekocht werden. So wurde am Vorabend zur »Schnippeldisko« eingeladen, und über 300 Menschen kamen. Daraus ist eine neue Schnippeldisko-Bewegung in 52 Ländern entstanden. Selbst der Biohandel huldigt inzwischen wieder der krummen Möhre.
Dieses Wirken in die Welt hinein hat Wam dazu gebracht, die Fläming Kitchen als eigener Chef zu führen. »Wenn ich sage: Wir gehen beim Papst kochen, dann kochen wir beim Papst!« Wam will nach 30 Jahren seine Kraft nicht mehr in langwierige Kollektivabläufe stecken. Dennoch ist er ein Gemeinschaftsmensch. Er versteht es, Menschen zusammenzuführen, die sonst nicht miteinander arbeiten würden. Das Geheimnis dabei sei, vieles nicht so ernst zu nehmen. »Genieße die Sachen, die gutgehen, und versuche, dich nicht kaputtzumachen mit dem, was nicht klappt«, sagt Wam und lacht sich dabei kaputt.
Er meint, er habe durch sein Leben in Gemeinschaft gelernt, zu wissen, wer er selbst ist, und könne für sich sorgen. In einer Gruppe kann er für sich stehen und gelassen bleiben. Nur durch diese Haltung habe er die vielen Jahre als Koch der Bewegungen gemeistert. Er ist sich sicher: Als gelernter Koch hätte er all das nicht aufbauen können. Hier gehe es mehr um Psychologie und Soziologie als um Kochkunst.
Und es funktioniert, da bin ich mir nach dieser Begegnung sicher, weil hier ein Künstler am Werk ist, der jeder Situation mit Leichtigkeit begegnen kann. Eigentlich ist Wam ein Gesamtkunstwerk oder – wie er in einer E-Mail seinen Beruf in Eigensprache beschreibt – »vertreter, koordinator, experte von nür mich selbst …« •


Rezepte, die Hunderte satt und glücklich machen:
Bei Orange Press erschien von Wam Kat das Buch »24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung«. Weitere Infos sowie sein Balkan-Tagebuch finden sich auf 
www.wamkat.de.

weitere Artikel aus Ausgabe #29

Photo
Bildungvon Wolfram Nolte

Wo Spaghetti im Winde wehen

Es begann damit, dass ein Freund mir ein Kochbuch aus Tirol mit dem Titel »Sinnesschmaus« mitbrachte. Der Inhalt hielt, was der Titel versprach. Viele, oft ganzseitige, ­Fotos zeigen die kreative Freude von Kindern bei der Zubereitung von Speisen und beim gemeinsamen

Photo
Gesundheitvon Maria König

Essen ist Begegnung mit Lebewesen

Kürzere Tage, buntes Laub, goldenes Licht, Zugvögel und tieftrübe Regenschleier: Der Herbst verführt zu langen, gedankendurchwirkten Spaziergängen. Wo klarer, frischer Wind mich mit Herbstlaub umwirbelt, spüre ich mehr als sonst mich selbst und die Verbindung zur

Photo
von Astrid Emmert

Ackergifte? Nein danke! (Buchbesprechung)

Ute Scheubs Buch zur gleichnamigen Kampagne »Ackergifte? Nein Danke!« (siehe Oya 26) liest sich wie ein Krimi: Es gibt ein schier unglaubliches Verbrechen, es gibt Täter, unzählige Opfer – aber niemanden, der von Amts wegen um die Aufklärung des Falls bemüht

Ausgabe #29
Satt und glücklich

Cover OYA-Ausgabe 29
Neuigkeiten aus der Redaktion