Titelthema

Das Leben ist schön

Ein sizilianischer Komiker bringt die Poesie des Lachens nach Berlin.von Dieter Halbach, erschienen in Ausgabe #21/2013
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 Die schwarzen Korkenzieherlocken sind etwas grauer geworden, seit ich ihm das letzte Mal begegnet bin, doch der kleine, drahtige Mann darunter sprüht vor Leben. Heute möchte ich noch einmal seine eigene Geschichte hören.
»Als ich Kind war, da gab es noch kein Fernsehen«, erzählt Eduardo, der 1958 in Sizilien zur Welt kam. »Wir Jungs haben auf der Straße gespielt, und die Alten saßen daneben und haben ihren Rosenkranz gebetet.« Der sizilianische Katholizismus hat es in sich. Wenn Eduardos Mutter Gott anrief, tat sie das, als sei Gott ein Mafioso, ein Killer, der sie gegen alle anderen beschütze. Sie betete: »Gott wird ihm die Beine brechen, er wird dafür sorgen, dass seine Kinder sterben!« In dieser Welt wurde Eduardo zu einem Träumer. »Ich bin das ewige Kind geblieben. Ich träume gerne. Bestimmte Sachen, die ich geträumt habe, haben sich auch verwirklicht.«
Die Erfahrung des Todes und des Todeskults, die Eduardo als Ministrant hautnah miterlebte, ließen ihn erstmals seine Aufgabe spüren: »Ich habe bei den Beerdigungen immer das Kreuz getragen. Da habe ich die Klageweiber erlebt, sah die Tränen der Angehörigen, das Schwarz um mich herum. All das hatte etwas sehr Theatralisches. Damals war ich sehr gläubig. Ich wollte etwas für diese verzweifelten Menschen tun. Da hat das Theater bei mir angefangen.« Ohne die Möglichkeit, Schmerz und Trauer in unserer öffentlichen Kultur zu zeigen, sieht Eduardo die Menschen heute wie »Zeitbomben, die alles in sich hineinfressen«. Der Humor auf Sizilien sei eher derb und exzessiv, Ausdruck der Schattenseiten von Armut, Doppelmoral und Ohnmacht.Es würden viele obszöne Witze erzählt. Eduardo nennt es »eine Entladung ohne Eleganz«.
Als er acht Jahre alt ist, zieht die Familie nach ­Turin. Die Schule quält ihn. Er überlebt, indem er den Hanswurst gibt, sich mit seiner Komik Distanz zur banalen Wirklichkeit verschafft. Er entdeckt den Geschichtenerzähler in sich und liest schon früh die griechischen und römischen Mythen. In einem Ferienlager schützt er sich vor den einschüchternden, brutalen Jungen, indem er sie mit seinen Geschichten unterhält. Mit 18 kommt für Eduardo der Ausbruch aus Schule und Familie. Die Jugendrevolte und der autonome Widerstand waren in Italien in vollem Gange. Sein erlernter Friseurberuf – »Haare waren für mich wie Gedanken, ich schnippelte an den Gedanken der Leute herum« – passte nicht mehr zu langen Haaren, zu Drogen, Gitarrespielen und seinem anarchischen Straßenleben. Es war die Zeit um 1976/77, Eduardo reiste durch ganz Italien. »Man hat visionäre Ideen gelebt«, erinnert er sich. »Seit dieser Zeit spüre ich, dass meine Seele eine gewisse Nahrung braucht.

Die Poesie der lachenden Träume
Erst in Deutschland entdeckt Eduardo das Theater als seinen neuen Beruf. Warum gerade hier? »In Italien ist der Alltag voller Theatralik. Hier aber erlebte ich in diesem Bereich einen Mangel, und da konnte ich etwas geben. Italien und Deutschland – sie sind wie die zwei Gesichter des Januskopfs. Der Humor ist die Stärke der italienischen Kultur und auch ihre Grenze, wie man jetzt aktuell in Italien sehen kann, in diesem Verfangensein in der pervertierten karnevalischen und absurden Kultur.« Eduardo konzentriert sich auf das gestische Theater, wo der Schwerpunkt die Figur, der Mensch in seiner Bewegung, ist. An der Theatermanufaktur Charlottenburg erhält er erstmals professionellen Unterricht, und da sein Talent dem Leiter auffällt, darf er gleich auftreten. »Vor dem ersten größeren Auftritt konnte ich nächtelang nicht schlafen. Da war eine Aufregung in mir, wie ein wilder Gaul. Der wieherte und galoppierte und wollte auf die Bühne. Ich habe dann toll gespielt. Mein Spaß hat alle im Publikum angesteckt.« Eduardo beschließt, in Rom die Schauspielschule Circo a Vapore zu besuchen. Er wirkt bei zahlreichen deutschen und italienischen Theaterproduktionen mit und reist mit einer Zirkus-Theatergruppe durch Europa.
Seit 20 Jahren ist seine Liebe nun »die Welt der Kinder«. Er betreibt in Berlin das Kindertheater Baraonda, italienisch für »Getümmel«. Seine Stücke sind Traumwelten, wie »Ein liederfressendes Ungeheuer«, wo Beppo gegen eine Welt ohne Lieder kämpft, damit wir alle weiterexistieren können. Er fragt: »Wo waren die Lieder, bevor sie in unserem Kopf sind?« Selbstverständlich siegt zuletzt die Fantasie. »Denn wir leben von unserer Fantasie. Unsere Träume machen uns aus! Ich bin eigentlich kein Clown, aber mein Theater ist ein lustiges Theater, weil ich gerne lache. Aber ich finde auch Weinen etwas Schönes.«
Eduardos Frau Beate ist 2001 an Krebs gestorben. Seitdem zieht er alleine die beiden Kinder groß und steht weiter auf der Bühne. »Ja, man muss spielen, man muss weiterleben. Das Spielen war meine Rettung, ich konnte für eine Zeitlang alles vergessen. So wie in Roberto Benignis Film ›Das Leben ist schön‹. Alles ist schrecklich, sie sind im Konzentrationslager, aber da ist immer Raum für Fantasie.« Eduardo erlebt diese Magie als alleingelassener Vater: »Ich habe meine Kinder oft wie zwei Engel gesehen. Wenn etwas schiefgelaufen war, kamen sie dazu, und plötzlich hat sich alles wieder eingerenkt. Sie haben in dem Chaos, in das ich hineingeworfen war, innerhalb eines Jahres alles wieder ganz werden lassen.«
Extreme Situationen, in denen jeder denkt, er würde zusammenbrechen, können einen Durchbruch bringen, durch den neues Licht fällt. Berühmte Regisseure wie der polnische Theaterrevolutionär Jerzy Grotowski haben diese Situationen bewusst kreiert und ihre Schauspieler vor einer Aufführung nächtelang nicht schlafen lassen, um sie an ihre Grenze zu bringen. Eduardo sieht das in Bezug auf die subversive Kraft des Humors sehr italienisch: »Die Komik ist wie das Fett in der Minestrone. Wenn die Suppe ein bisschen steht, tritt das Fett nach oben. Die Komik erscheint uns oft als etwas Oberflächliches, aber sie ist die Substanz, die kräftigende Nahrung. Die Tiefe ist es, die an die Oberfläche tritt.«
Humor ist also ein Ort, an den ich gehen kann, ohne meinen Schmerz zu unterdrücken. Dieser Humor aus der Tiefe beinhaltet und umarmt den Schmerz, steht in Verbindung mit allem Menschlichen.
Eduardo möchte in dieser Kunst des Menschlichen weitergehen. »Da ist in unserer Gesellschaft eine Müdigkeit, alles ist schon geschehen und aufgebraucht. Das möchte ich nicht. Ich möchte noch mehr entdecken. Vielleicht bin ich ein Entdecker. ›Wer weiß, ob für mich noch ein bisschen Dschungel sein wird‹, singt Paolo Conte. Das ist mein Traum, diesen Dschungel zu betreten, in dem man nicht weiß, was dahinter ist. Meine Seele lebt davon, dass ich mit meinem Kindertheater irgendwohin gehe, zum Beispiel zu einer Familienfeier nach Lichtenberg, und da ist vielleicht eine vietnamesische Familie, die lacht über mein Piratenstück mit der Schatztruhe. Nach der Vorstellung kommt ein kleines Mädchen, das hat auch eine kleine Truhe und zeigt mir, was sie da drin hat. Das ist so schön!«
Eduardo erzählt mir gegen Ende unseres Gesprächs eine Szene im Film »Down by law« von Jim Jarmusch. Da malt Roberto Benigni ein Fenster in seine Gefängniszelle, die er mit Jack und Zack teilt. Und alle drei brechen durch dieses gemalte Fenster aus dem Gefängnis aus. Das sei wie ein Schlüsselbild für ihn: Diese Möglichkeit ist immer da, aber nur wenige merken es.
»Weißt du, was ich wunderbar finde: Poesie ist überall, sie kostet nichts, ist gratis für alle. Man muss es nur fühlen! Und dann plötzlich ist es da – das Paradies!« 


Mit Eduardo Mulone ins Paradies
www.baraonda.de

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